Ägypten

Es ist bizarr. In der zweiten Dezemberwoche waren wir auf Nilkreuzfahrt in Ägypten, und im Nachhinein scheint es wohl so, als wäre damals schon etwas am Schwelen gewesen. Vor allem unser Guide hat uns doch erstaunt, dass er völlig freimütig vehemente Kritik an der Diktatur Mubaraks übte. Bedingt durch die behütete Kulturreise haben wir natürlich nicht so wirklich Land und Leute kennengelernt – aber ein bisschen eben schon. Denn Ägypten kann seine bittere Armut gar nicht hinter schönen Fassaden verstecken, die Ortschaften mit den ruinösen Bauwerken, seien es nun Ruinen oder Neubau-Skelette, die Slums, der Schmutz. Fast 85 Millionen Menschen in einem Wüstenland mit nur wenigen fruchtbaren Gebieten und einer Megalopolis, die an sich selbst erstickt.
Und da geht dieser Diktator her und sagt „hey, ich habe nichts mit eurer Revolution zu tun, aber morgen werdet ihr eine neue Regierung haben, und die Reformen werden fortgesetzt.“ Es ist unfassbar. Und unfassbar ist auch, dass der DAX aus diesem Grund fällt; das ist Hohn pur, ein Volk, das aus Not und Verzweiflung um seine Rechte und Freiheit kämpfen will, auf virtuelle Zahlen zu reduzieren. Genauso widerlich wie Mubaraks Auftritt.
Und gerade weil ich erst vor kurzem in diesem Land war, bin ich emotional an seiner Zukunft beteiligt. Ich kann nur wünschen und hoffen, dass das Militär sich auf die Seite des Volkes stellt (und dort auch bleibt und nicht etwa eine Stufe höher klettern will). Und dann … ich habe keine Ahnung, wie dieses Land in eine bessere Zukunft geführt werden kann, doch vielleicht ist es möglich.

Nun ist der 1.2. da, und hunderttausende, wenn nicht sogar zwei Millionen Menschen sind in Kairo auf der Straße. Familien, Studenten, Richter, alle finden sich zusammen. Die Stimmung ist erstaunlich friedlich und erstaunlich gelöst. Die USA haben endlich ein klares Statement abgegeben, dass Mubarak zurücktreten muss. Vielleicht ist jetzt die Nacht der Entscheidung kommen … und wird einen neuen Maßstab, eine neue Ära beginnen.

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