Asterix bei den Pikten

Ich hatte der Reihe ja schon lange entsagt, nachdem die Abenteuer immer blöder und seitenschindender wurden. Nun aber wird also mit einem neuen Team ein Neuanfang gewagt und nach längerem Zögern habe ich nun doch zugegriffen.
Die Zeichnungen sind liebevoll und sehr nah „am Original“, was mir übrigens absolut zusagt. Ich will kein neues Design, sondern meine gewohnten Asterix und Obelix, wie ich sie seit Jahrzehnten kenne. Was mir optisch nicht gefällt, sind die Frauen, nicht einmal Methusalixchens schöne Gattin kann man noch als „schön“ bezeichnen, schadeschade. Genauso schade, dass sie so gut wie gar keine Rolle erhält, obwohl sie trotz ihrer Kurzauftritte doch immer recht prägend war. Die übrigen Frauen ergehen sich darin, den Pikten zu bewundern und die Mode ihrer Männer zu ändern, sehr viel mehr haben sie nicht zu sagen. Auch schade. Da gab es schon andere Zeiten.
Die Geschichte ist nett. Punkt. Für mich erschloss sich der Eindruck, dass in den beiden „Neuen“ sehr viel mehr steckt, dass aber Uderzo bei diesem ersten „Versuch“ noch dermaßen seinen Daumen draufhatte, dass sie sich nicht getraut haben, mehr daraus zu machen. So bleibt die Geschichte samt ihren Figuren, Charme und Witz sehr oberflächlich, richtige Spannung kommt mangels Bedrohung nicht auf. Keine Verwicklungen, keine Intrigen … nix. Was der Volkszähler soll – keine Ahnung, denn er hat keinerlei Bedeutung. Der Grüne, der Chef werden will – absolut belanglos. Er tritt kurz auf, dann tritt er ab. Der Sprachfehler des aufgetauten Pikten ist albern und vor allem gänzlich un-schottisch (seit wann sind die Beatles Schotten?). Und dann auch noch der Hund (der ebenfalls keine Rolle spielt): Wieso ausgerechnet ein Westie, kein Scotty???
Vielleicht bin ich auch zu alt dafür, ich weiß es nicht. Es sind zugegeben nicht alle Goscinny/Uderzo-Alben gut, so fair muss ich schon sein, auch von diesem Team gibt es einige belanglose Ausgaben.
Geben wir noch eine Chance? Aber ja. Vielleicht strampeln sich die beiden frei und legen dann so richtig los. Das Potenzial scheint mir da zu sein – also abwarten.

Before Watchmen 5: Ozymandias

Len Wein und Jae Lee erzählen uns die Origin des klügsten Mannes der Welt. Wein ist ja „ein ganz alter Hase“ des Comic-Geschäfts und weiß ganz genau, wie man eine Superheldengeschichte erzählt – das stellt er auch hier unter Beweis, ausgezeichnet in Szene gesetzt von Lee. Wein geht dabei geradlinig vor und erzählt eine klassische Story, wie sie auch Batman nicht unähnlich ist, aber eines ist von Anfang an klar und bleibt bestehen: Ozymandias/Adrian Veidt ist ein Arschloch. Das zeigt sich schon durch die typische Darstellung, Kopf oben, aus niederer Sicht betrachtet. Aber auch ohne dieses klare Bild ist ersichtlich, wer der klügste Mann der Welt ist: Absolut emotionslos, ein Soziopath reinster Manier. Er möchte die Welt retten, weil er Superhelden – zu denen er auch Alexander zählt – verehrt und „weil es jemand machen muss“. Wer könnte dazu besser geeignet sein als der intelligenteste Mensch, der alle Zusammenhänge erkennt? Adrian ist gelangweilt von den Menschen, weil sie ihm intellektuell nicht gewachsen sind, und seine kindliche körperliche Unzulänglichkeit gleicht er sehr rasch aus, sodass er auch athletisch allen überlegen ist. Adrian geht gelassen über Leichen, weil sie notwendige Opfer sind auf seinem „harten, steinigen“ Weg zum Ziel. Die Welt zu retten, die er in Wirklichkeit beherrschen will mit seinem überlegenen Intellekt, weil er weiß, was gut und richtig ist. Adrian hat sich dieses Ziel nicht gesetzt, weil er helfen will, sondern weil es die einzige Herausforderung ist, bei der er sich nicht langweilt, die ihn in Anspruch nimmt und zum Nachdenken zwingt. Er kennt keine Begriffe wie Mitgefühl, Nächstenliebe und Menschlichkeit. Wer ihn gleich durchschaut, ist der Comedian, und Ozymandias muss einsehen: dieser Kerl ist ihm gewachsen. Eddie durchschaut die Dinge besser als er, und er kann ihm die Nase blutig hauen. Jon „Doc Manhattan“, den er besonders bewundert, weil er quasi Gott ist, interessiert sich hingegen überhaupt nicht für den eifrigen, zielstrebigen jungen Mann und verweigert den Austausch. Kein Wunder: Er weiß längst, was geschehen wird, denn er existiert außerhalb der Zeit und damit in allen Zeiten.
Prägend für Ozymandias‘ „brillanten“ Plan, die Erde zu retten, ist jener Abend der Versammlung der „Crimebusters“, der alles, auch für die Watchmen, verändert. Diese Begegnung wird diesmal – denn auch die anderen Prequels greifen darauf zu – ausführlich aus Adrians Perspektive dargestellt.
Eine schwierige, in den Watchmen leidlich ungreifbare Figur (was so sein muss), deren Origin in den richtigen erzählerischen Händen gelandet und daher außerordentlich gelungen ist.

Before Watchmen 4: Nite Owl

Das hatte ich bisher ganz vergessen zu erwähnen, denn ich habe den Part ja schon lange genossen – die Verzögerung ist fast unverzeihlich, denn nun hat uns Altmeister J. Michael Straczynski mit der von mir wie immer überaus geschätzten Grafikkunst von Andy und (dem leider 2012 verstorbenen) Joe Kubert einen Band präsentiert, der mühelos an das Niveau der „Minutemen“ heranreicht. Straczynski kann halt einfach erzählen, spannend und emotional zugleich.
Die Ähnlichkeit der Figur Nite Owl mit Batman ist durchaus beabsichtigt, wobei Nite Owl dennoch kein Abklatsch ist, sondern eine eigenständige – und tolle – Figur. Nicht zuletzt auch deswegen, weil es ja zwei Personen in der Maske gibt, die jede auf ihre Weise den Hüter der Nacht repräsentiert haben. Hier geht es natürlich um den Jüngeren der beiden, denn Hollis Mason hat bekanntlich nach der Auflösung der Minutemen das Kostüm abgelegt und arbeitet zur Handlungszeit an seinem Buch. Wir erfahren den Hintergrund von Dan Dreiberg, seine Motive, seine persönliche Tragödie und eine Menge über seine Zusammenarbeit mit Rorschach. Ich habe mich immer gefragt, wie es dazu kommen konnte, dass diese zwei völlig gegensätzlichen Charaktere und vor allem der absolute Einzelgänger Rorschach ein Team bilden konnten – und so etwas wie Freunde wurden. Straczynski hat sich dazu ordentlich was einfallen lassen. Hierbei kommt auch eine interessante – weibliche – Nebenfigur mit ins Spiel, über die ich an dieser Stelle nichts weiter verraten will. Man muss sie gesehen und erlebt haben. Leider bleibt ihr Auftritt einmalig.
Uns wird keine leichte Kost geboten, und vor allem auch das Verhältnis Mason/Dreiberg wird auf eine sehr harte Probe gestellt. Großartiges Kino, so soll es sein.

Marcel Reich-Ranicki ist gestorben

Nun ist er also gestorben, der große alte Mann der Literaturkritik. 93 Jahre, und jetzt hat ihn der Krebs geholt. Ein langes und bewegtes Leben hat er gehabt, mit dem denkbar schlechtesten Anfang inmitten des Zweiten Weltkriegs. Er hat Bücher geliebt wie kein anderer und sich damit auseinandergesetzt, mit scharfer Zunge, doch niemals boshaft. Geistreich, witzig, intelligent und gebildet hat er entscheidend an der Kulturentwicklung in Deutschland mitgewirkt. 2008, das erscheint mir noch gar nicht so lange her, hat er den Deutschen Fernsehpreis zurückgewiesen mit Pauken und Trompeten und Recht und Fug. Leider hat sich inzwischen am Programm nur insofern etwas geändert, dass es noch mieser und niveauloser  geworden ist mit immer einfallsloseren und peinlicheren Shows, aber wenigstens hat er den Finger drauf gehalten. Eine gute Reise in den Kosmos der Bücher!

 

Comics: Ein Ende und ein Neustart

Daredevil: End of Days (Bendis/Mack): Ein schickes, weil auch ziemlich dickes Hardcover, derzeit nur auf Englisch erhältlich. Klaus Janson als Zeichner schätze ich ohnehin von einigen sehr guten Batman-Stories der 90er Jahre, und auch hier hat er die Storyline trefflich in Bilder umgesetzt. Es handelt sich wieder einmal um eine der „was wäre, wenn … stirbt“-Geschichten, und ganz ehrlich: Das ist die Beste von allen. Es fängt gleich mit Daredevils Tod an, verursacht durch Bullseye. Warum, wieso – wir erfahren es nicht. Auch nicht, was Matt in den Jahren seit seinem Mord am Kingpin getan hat. Aber viele, viele Fäden aus früheren Zeiten werden aufgenommen.
Wir befinden uns in der Zukunft: Der Daily Bugle sieht seiner letzten gedruckten Ausgabe entgegen, die meisten Vigilanten sind Geschäftsleute geworden, aber auch viele Superhelden haben Maske und Cape an den Nagel gehängt. Der Bericht über Daredevils Tod soll der letzte Auftrag für den Enthüllungsjournalisten Ben Urich sein, der zugleich Matts Freund war. Er will eine Geschichte über seinen Freund Matt schreiben, und doch wird es auch eine Geschichte über ihn selbst. Schließlich haben sie viele Jahrzehnte lang miteinander verbracht. Maßgeblich treibt Matts letztes Wort in die Geschichte: „Mapone“. „Was soll das bedeuten?“, fragt ein Augenzeuge, und Urich antwortet: „Vielleicht sein Schlitten.“ Und damit ist klar, dass Ben herausfinden muss, was dieses letzte Wort zu bedeuten hat. Je tiefer er hineintaucht, je mehr ehemalige Helden und Vigilanten er befragt, umso gefährlicher wird es für ihn, doch er schlägt alle Warnungen in den Wind. Dabei sterben Vigilanten, nachdem er sie aufgesucht hat, auf brutale Weise, und auch er wird schließlich angegriffen.
Die Geschichte ist verwickelt, die Zusammenhänge kompliziert. Die Fragen, die Urich sich stellt, müssen auch wir uns stellen, und doch kommen wir mit ihm zusammen dem Geheimnis Schrittchen um Schrittchen näher. Bis zum furiosen, mit mehreren Überraschungen und Wendungen aufwartenden Finale.
Die Geschichte ist spannend, tragisch, anrührend und tiefgehend. Großes Graphic-Novel-Kino.

Batman 1: Der Rat der Eulen (Scott Snyder): Deutsch bei Panini. Auch das ist ein „dickes Ding“, das es in sich hat. Passend zum Neustart auch ein Zeichner der 2000er-Generation, Greg Capullo. Immer wenn ein Superheldenuniversum zu aufgebläht und kompliziert geworden ist, gibt es einen Schnitt, und man beginnt von vorn mit einer Nummer 1. In diesem neuen Jahr 1 haben wir einen jüngeren Bruce Wayne, und an seiner Seite stehen Nightwing/Dick, Red Robin/Tim und Damian Wayne, Bruces leiblicher Sohn, als neuer Robin. Commissioner Gordons jüngere Ausgabe ist uns erhalten geblieben (es gibt halt keinen anderen), ebenso wie einige andere Charaktere, auch Batgirl/Babs und Catwoman. Aber was neu ist, ist „Der Rat der Eulen“, eine Geheimorganisation, die sich an „Gladiatorenkämpfen“ ergötzt, und die praktisch den Stein der Weisen entdeckt hat. Die Eulen sind fast so alt wie Gotham und haben die Stadt seit langer Zeit unterwandert. Nun treten sie in Erscheinung, denn ihr aktuelles Ziel ist Batman. Sein Gegner ist ein Assassine, der seinen Weg mit Leichen pflastert. Aber da steckt natürlich noch viel mehr dahinter, das ist erst der gelungene Auftakt zu einer spannenden Saga.

Fast genial (Benedict Wells)

„Fast genial“ kann man von diesem Buch leider nicht sagen. Nicht mal genial daneben. Der Stil ist schlicht und unauffällig, die Charaktere sind schlicht und unauffällig, die Storyline ist schlicht und unauffällig.
Warum eigentlich müssen die meisten jungen männlichen deutschen Protagonisten Schlaffi-Loser sein, die antriebslos dahinvegetieren? Warum besitzen sie in nichts, aber auch gar nichts irgendwelche Fähigkeiten? Warum bleiben sie das den gesamten Verlauf der Geschichte und sind es am Ende immer noch? Mal ehrlich, das sind die Bestseller von heute? Der Klappentext verspricht ein Roadmovie: „Die unglaubliche, aber wahre Geschichte … Abenteuer seines Lebens“. Ja, Pfeifendeckel, unglaublich ist daran sowas von nichts, und dass sie wahr sein soll, macht es umso schlimmer. Der Handlungsort ist Amerika, aber die Geschichte ist deutsch, die Charaktere sind deutsch, man merkt überhaupt nicht, dass man da „drüben“ ist. Mal ehrlich, ich habe als normalharmloser Tourist während meiner Reise dort an den gleichen beschriebenen Stationen in wenigen Tagen mehr skurrile Begebenheiten gehabt als diese Jugendlichen im ganzen Buch auf 320 Seiten.
Ich muss dazu sagen, warum ich so erbost bin. Ich liebe Roadmovies über alles, egal ob Buch oder Film, es funktioniert in beiden Medien. Dass das auch auf deutsch funktioniert, beweisen – mit Abstrichen, denn auch hier bleibt der Protagonist leider ein Loser – Herrndorfs „tschick“ (hier in der Rubrik zu finden) und der wirklich hervorragende Film „vincent will meer“ (in der Rubrik „Filme – 2010“ zu finden).
Also, da erfährt Francis, dass er durch eine „Samenbank der Genies“ (der wahre Ausgangspunkt) gezeugt wurde und macht sich auf die Suche nach seinem Vater. (Wie wir es schon dutzendmal gelesen und gesehen haben, aber das muss ja noch nichts Schlimmes bedeuten … tut es aber leider. Seufz.) Natürlich, wie sollte es anders sein, zusammen mit seinem besten Kumpel (reicher Loser, klar) und einem Mädel, das grad einen Selbstmordversuch hinter sich hat (Vatermissbrauch, auch klar). Dreiecksgeschichte, ich komme.
Wir fahrn, fahrn, fahrn auf der Autobahn.
Logischerweise kriegen die drei an einem Abend Eifersuchts-Krach miteinander.
Wir fahrn, fahrn, fahrn auf der Autobahn.
Francis hat geträumt, dass er in Las Vegas einen Haufen Pennunse gewinnt, also fahren sie hin, und logisch, er verliert, dann, logisch, gewinnt er so richtig, und dann, logisch, natürlich ist er ein Depp und keiner hindert ihn, hat er im nächsten Moment alles falsch gesetzt und ist total pleite. Alles weg! Boah, was eine aufregende, unerwartete Wendung. Der arme Bub. Wenn ich nur Mitleid haben könnte. Wenn es mich nur interessieren würde.
Wir fahrn, fahrn, fahrn auf der Autobahn.
So gehts also dahin, nix passiert wie schon auf den ganzen 250 Seiten vorher, was wir nicht schon erwartet hätten, alle sind brav und bieder und langweilig.
Irgendwann findet er seinen Vater (klar, was auch sonst), und oh Überraschung, wer hätte das gedacht – Achtung Plot Point, Achtung, überraschende Hauptwendung! – sein Vater hat geschummelt und ist gar kein Genie sondern ein Loser und ein Depp.
Konsequenz: Francis weiß jetzt, warum er ein Loser ist und wird immer ein Loser sein.
(Häääää?)
Wir fahrn, fahrn, fahrn auf der Autobahn.
War da noch was? Keine Ahnung, ehrlich, hab die Seiten nur noch überflogen.
Am Schluss geht Francis nochmal ins Casino, und ratet mal – Achtung, dramatischer Höhepunkt, Trommelwirbel! – es hört mittendrin auf! Na, sowas aber auch! Wir erfahren nicht, ob er gewinnt. Aber mal ehrlich, abgesehen von so einem bescheuerten No Go-Ende – wen interessiert’s? Wir wissen doch, dass er ein Loser bleibt, er hat sich ja null entwickelt oder verändert.

Das Buch ist so ohne Witz und Charme, die Tragik so oberflächlich dahinplätschernd, dass sie nicht berührt, die Storyline derart vorhersehbar und unoriginell, die Charaktere so uninteressant und langweilig – was für eine vertane Chance! Mein eigenes Leben ist täglich aufregender als das dieser drei Jugendlichen unterwegs. Hallo, ich will nicht miterleben, wie mein Nachbar Deutschermichelmayer jeden Tag verbringt, das habe ich auch so. Ich will ein ROADMOVIE mit skurrilen Begebenheiten und merkwürdigen Menschen! Eine Fiktion, die ja trotzdem wahr sein kann, oder auch nicht, mir doch egal, aber ich will ein Buch, das mich gefangennimmt, egal auf welche Weise, stilistisch, dialogtechnisch, inhaltlich … aber das hier ist einfach gar nix außer gestohlener Lesezeit.

Before Watchmen 3: Comedian

Und wieder ist Brian Azzarello am Ball, diesmal mit Zeichner J.G. Jones.
Nun ist also jene Figur an der Reihe, die der Auslöser für die Ereignisse der Watchmen-Storyline war. Der Zyniker, der die Realität mit einem brillant scharfen Verstand erkennt, dabei aber leider emotional nicht in der Lage ist, irgendetwas Positives finden zu wollen – oder es selbst zu erschaffen. Stattdessen zerstört er immer noch weiter, bis er in der Hauptstory letztendlich seinen Meister finden wird, der ihn an Zynismus schlägt, und woran er dann zerbricht.
Jones, das muss man sagen, macht seine Sache hervorragend.
Die Geschichte … wie soll ich sagen. Ich bin zwiegespalten. Der Comedian gibt jede Menge her, aber auch hier konzentriert sich Azzarello auf den Meilenstein seines Lebens, Vietnam, und dort auf nur ein einziges Geschehnis. Immerhin schafft er diesmal eine kleine Brücke zu den Watchmen in einer winzigen, mitten in die Storyline hineingepflanzten Szene, über die man froh ist, dass sie da ist, aber nicht so wirklich weiß, warum eigentlich. Doch in dieser Szene überstrahlt die gewaltige Persönlichkeit Blakes einfach alles und zeigt sich so, wie sie sein soll.
Der Einstieg mit den Kennedys, „der Fall Monroe“, die Interpretation einer Aussage bei den Watchmen, was der Comedian mit Dallas zu tun hat, das ist sehr interessant, sehr gefühlvoll, pointiert und eindringlich.
Sobald es dann aber nach Vietnam geht, springt die Geschichte permanent im Zeitverlauf hin und her, sodass ich mir schwer getan habe zu folgen, obwohl Jones dankenswerterweise pro Zeitlinie andere Farben angelegt hat. Ich habe aber trotzdem mehrmals hin und herblättern müssen, um mir das Geschehnis zusammenzureimen, weil es fast nur aus Andeutungen besteht und erst so nach und nach herauskommt, was tatsächlich passiert ist. Es gibt hier nur eine einzige Szene, nämlich ein Massaker. Aus den Watchmen wissen wir aber, dass dort noch sehr viel mehr passiert ist. Und hieraus ergibt sich ein dicker, fetter Bug – Eddie Blake kommt ohne Narbe aus dem Krieg zurück. Ich habe mehrmals nachgeschaut und auch die Zeitläufe verglichen, aber bis in die 80er hinein hat er keine Narbe. Das stört mich bei aller Sorgfältigkeit, um die Azzarello sonst bemüht war, ganz erheblich. Dass er die Szene weggelassen hat, wie es dazu kam, weil sie ja schon mal erzählt worden ist, gut – aber die Narbe wegzulassen, das geht nicht.
Die Vietnamsache wurde mir zu wirr, die ständigen Szenensprünge vor und zurück, das hat mich ziemlich aus dem Lesefluss gerissen. Der Comedian ist nach wie vor sehr präsent, wird aber irgendwie ständig im Auftritt „abgewürgt“. Da hätte noch ein gutes Stück mehr in ihm gesteckt, das wir gern erlebt hätten.
Dieser Teil ist erheblich besser als der Vorgänger, vor allem der Einstieg ist hervorragend gelungen, aber auch das erreicht bei weitem noch nicht das zugegeben sehr hohe Niveau der „Minutemen“. Als nächstes ist „Nite Owl“ von Straczynski dran – darauf bin ich jetzt wirklich gespannt und hoffe auf Steigerung.

Niemand (Nicole Rensmann)

Ich liebe Märchen. Ich bin Märchen-Fan. Schon immer gewesen, werde ich immer sein. Ich habe ein ganzes Buchregal (wenn es reicht) voll nur mit Märchen, Sagen, Fabeln, Legenden, dazu diverse Time-Life Sammlungen, Lexika und was es sonst noch so gibt. Schon immer habe ich – zunächst nur für mich – Texte verfasst, die sich mit Märchen beschäftigten, aber auch mit der Umsetzung schräger Wortspiele, bestimmter Bezeichnungen und dergleichen mehr.
Als Neil Gaimans – den ich für den größten Phantastik-Autoren der Gegenwart halte – „Sandman“ herauskam, stellte ich fest, dass noch jemand diese – skurrile – Erzählweise mochte. Märchen neu zu erzählen, neu zu interpretieren, und manches wörtlich zu nehmen.
Als ich die Chance für die Serie Elfenzeit bekam, war es endlich soweit, selbst aus dem Vollen schöpfen zu können, mich gnadenlos und ungeniert aus Märchen der ganzen Welt zu bedienen und dabei noch seltsame Wesen zu schaffen. Vor allem Co-Autor Michael Marcus Thurner brachte da jede Menge Facetten mit ein, die mir viel Vergnügen bereiteten.

Und nun gibt es da also „Niemand“ von Nicole Rensmann.
Wenn es um Trauerklöße, Drecksäcke, unsichtbare Niemande (Niemand, Niemand Sonst und Überhaupt Niemand) geht, um Abrissbirnenkatzen, Laberbacken und E-Mann-Zehen (na? kapiert?), da kann ich nicht widerstehen. Da muss ich zugreifen. Und schlemme, genieße, versinke mit jeder Seite. Genau das, was ich als Phantastik liebe.
Einen ganzen, ordentlich umfangreichen Roman auf diese Weise und auf bleibendem hohen Niveau zu erzählen – das ist der Autorin in einer Weise gelungen, die sonst nur Neil Gaiman schafft.
„Niemand“ ist eines der zauberhaftesten, fantasievollsten und humorvollsten Märchen, die ich je gelesen habe. Wo Sprichwörter und Bezeichnungen wörtlich zu nehmen sind und man sehr genau aufpassen muss, was man sagt, um nicht in Gefahr zu geraten, jemanden zu beleidigen oder aus Versehen zu verraten. Der unsichtbare „Niemand“, Herrscher des Niemandslandes, Sohn des überaus niederträchtigen Niemand Sonst, der wiederum mit seinem anscheinend fast genauso niederträchtigen Bruder Überhaupt Niemand im Streit um den Thron liegt, der ihnen gar nicht zusteht, hat sich selbst noch nie gesehen. Genauso wenig wie natürlich auch Vater und Onkel, doch sie haben andere Sinne, um sich zu orientieren, und das ist vor allem der Geruch. So gewinnt die Wahrnehmung eine ganz neue Facette, findet ganz neue Begriffe, und Liebe ist ein leckerlieblichzuckersüßer Erdbeerduft, und zwar so, dass ich als Leserin sie auf der Zunge schmecken kann. Niemand (also der Herrscher, der ein Junge ist) ist so herzergreifend liebenswürdig, dass man ihn die ganze Zeit nur knuddeln möchte. Und er begegnet einer Nina, wie es eben nur eine Nina sein kann, aus unserer Welt, ein selbstbewusstes Mädchen voller Charme und Humor, manchmal ein bisschen tollpatschig, aber das passt ja zu Niemand. Dass die beiden sich ineinander verlieben, ist zwangsläufig und eine wundervoll romantische Geschichte. Wie im richtigen Märchen eben, wie wir es beim „Letzten Einhorn“ und bei der „Brautprinzessin“ und natürlich auch beim „Sternwanderer“ erlebt haben, so gehört sich das.
Mit ihrem unerwarteten Erscheinen im Niemandsland bringt (die entzückende) Nina natürlich alles komplett durcheinander – und Niemand dazu, eine Entscheidung zu treffen. Oder eigentlich mehrere. Die erste gipfelt darin, dass er einen Namen will, und das löst das Chaos (und den Kampf um den Thron) erst so richtig aus. Vor allem auch, weil Niemand ja zuvor das Geheimnis um seine Mutter lösen muss, und wie es überhaupt zu allem gekommen ist.
Das Buch ist wie seine Protagonisten – charmant, humorvoll, rasant, spannend (oh ja!) und einfach vergnüglich; kurz: ein Wohlfühlbuch.

Obwohl ich mich sonst nicht für solcherlei interessiere, habe ich extra auf der Seite des Deutschen Phantastik Preises nachgesehen und musste feststellen, dass Niemand nicht auf der Shortlist steht. Sehr schade. Das Buch hätte es verdient.
Wäre Elfenzeit noch nicht zu Ende, ich hätte die Autorin in meinem Keller angekettet und unter Honorarandrohung gezwungen, einen Roman dafür zu schreiben.
So werde ich eben ab und zu wieder nach Niemandsland reisen, bis „Niemand Mehr“ erscheint, an dem die Autorin ihrem Blog zufolge gerade schreibt. Man darf gespannt sein. Große Klasse.

Before Watchmen 2: Rorschach

Das Dream-Team Brian Azzarello und Lee Bermejo hat uns schon den grandiosen (nichts für zarte Gemüter) „Joker“ beschert, und entsprechend hoch waren meine Erwartungen. Durch die Vorlage der „Minutemen“ einerseits und die Teamarbeit an „Joker“ andererseits. Und was ist dabei herausgekommen, dass Azzarello sich Rorschach vorgenommen hat, die wichtigste, interessanteste und absolute Hauptfigur des Watchmen-Universums?
Leider nur banaler Durchschnitt.
Vorweg gesagt: Wer die Watchmen nicht kennt, weiß und erfährt nicht, wer Rorschach ist. Warum er sich so nennt, warum er diese Maske trägt. Es ist natürlich nicht notwendig, die Origin nochmals durchzukauen, nachdem wir sie in „Watchmen“ ausführlich präsentiert bekommen. Aber wir erfahren einfach gar nichts über Rorschach. Der ist einfach nur ein Vigilant, der sich auf kleinem Gebiet mit Drogendealern und Zuhältern herumprügelt. Punkt, Ende der Geschichte.
Eigentlich geht es ja um einen Serienkiller, doch das bleibt eine Rahmenerzählung.
Rorschach, der als Watchman über einen sehr scharfen Verstand mit hervorragenden Kombinationsfähigkeiten verfügt, stolpert hier von einer Falle in die nächste, ohne daraus zu lernen, sich vorzubereiten; völlig unprofessionell. Er ist ein blutiger Anfänger und totaler Dilettant, wie wir ziemlich schnell mitbekommen, und stellt sich schlichtweg dämlich an. Das passt überhaupt nicht zu der Origin in „Watchmen“, aus der sich dieser ganz besondere Vigilant entwickelt hat, der mindestens gleichauf mit dem Comedian steht. Wie er den ersten Angriff überlebt, ist schon haarsträubend, aber beim zweiten Mal ist das schlichtweg dermaßen hanebüchen konstruiert, dass ich fast keine Lust mehr hatte weiterzulesen. Vor allem ist diese in den Vordergrund gestellte Storyline völlig unwichtig und uninteressant (und bitte, so ein „Monster der Woche“ als Gegenspieler wie aus einem typischen Superheldenstrip aus den 60ern, das ist einfach nur gähnend langweilig). Der Serienkiller ist nur eine Konstruktion und erlangt überhaupt keine Bedeutung, da er überhaupt nicht ins Bild kommt. Hier ne Leiche, da ne Leiche, Ende.
Wenn man den Band loslöst aus dem „Watchmen“-Universum, ist er für sich einigermaßen Durchschnitt ohne irgendwelchen Tiefgang. Wobei Rorschachs Motivation nicht zum Tragen kommt, und er bewegt sich nur auf winzigem Terrain rings um sein „Gunga Diner“, in dem er immer isst. Sehr kleine Welt, was genau das soll – keine Ahnung.
Was mich am meisten stört, es gibt keinerlei Beziehung zu den „Watchmen“. Wir erfahren nicht, dass Rorschach nicht der einzige Vigilant ist, und am Ende hätte ich mir doch eine Begegnung mit Nite Owl erhofft, um den Faden zu knüpfen, wieso Rorschach sich den „Watchmen“ überhaupt anschließt.
So bleibt nur eine 110-seitige Kleinganovenprügelei mit Tiger (total blöd, der Tiger da drin), die der großartigen Figur Rorschach nicht einmal ansatzweise gerecht wird. Das wurde jedenfalls gründlich in den Sand gesetzt und erweckt Angst in mir vor Band 3 mit dem Comedian, der besten Figur der „Watchmen“, der wiederum von Azzarello stammt. Schade!

Before Watchmen 1: Minutemen

„Watchmen“ ist mittlerweile eine Legende der 80er von Alan Moore – inzwischen auch verfilmt – und gehört zu den besten Graphic Novels ever. Vor allem faszinierend, egal wie oft man die Bücher noch einmal in die Hand nimmt, man findet immer noch ein Detail, das man bisher übersehen hatte.
Nun gibt es also das „Prequel“ mit dem Titel „Before Watchmen“, auf Deutsch auf 8 umfangreiche Paperbacks angelegt. Neuerung hier: Diverse Autoren und Grafiker werden diese Vor- und Hintergrundgeschichten der Watchmen-Mitglieder bestreiten. Es heißt ja, einige Top-Autoren hätten das Angebot abgelehnt, weil sie sich nicht an das Thema heranwagten. Das kann ich nicht so recht glauben, aber lassen wir es dahingestellt sein und kümmern wir uns lieber um das tatsächliche Ergebnis.

Soeben ist Band 1 erschienen: „Minutemen“; es geht hier also um die Heldengruppierung vor den Watchmen, und es geht um das Buch „Unter der Maske“ von „Nite Owl“ Hollis Mason, das zum Bestseller wurde und als Geschichte in der Geschichte in den Alben in Auszügen gebracht wurde. Aber wie kam es dazu, warum hat Hollis das Buch geschrieben, und wie viel hat er unter Umständen geändert, bevor es erschienen ist?
Das wird in diesem Band erzählt.
Genau wie beim „Original“ auch besticht die Story optisch durch viele, viele Details, von denen mir beim ersten Lesen sicher eine Menge entgangen sind.
Das Buch hält sich strikt und eng an die Vorlage und verknüpft die Vorgeschichten nahtlos mit der Haupthandlung. Wenn man mir sagte, das Teil wäre von Moore selbst, würde ich das sofort glauben, weil es derart detailgetreu ist. An keiner Stelle habe ich mir gedacht „also so war das nicht“, und die Charaktere wurden bestechend herausgearbeitet bzw. konsequent „eingeführt“.
Das Buch ist umfangreich, es ist großartig, und es ist heftig.
Die Einführung am Anfang fiel sehr leicht, dann zwischendrin dachte ich mir „na, das ist aber jetzt schon ein bissl arg viel Geschwafel“, und dann auf einmal, mit einem Paukenschlag, ging die Geschichte so richtig los und brachte einige Wendungen, die schlichtweg der Knaller sind und einen ganz schön zum Schlucken bringen. Wie gesagt: heftig. Da bleibt was hängen.
Darwyn Cooke hat diesen Band gezeichnet und getextet, und beides ist ihm hervorragend gelungen. Volle Punktzahl!