Ab in die Wildnis?

Der Traum vom Aussteigen, ab in die grenzenlose Freiheit, ohne Bestimmungen, Vorschriften, Einengung. Wer hat ihn nicht ab und zu, wenn die Probleme oder die Langeweile überhand nehmen? Es gibt immer wieder Erfolgsgeschichten, in denen das Aussteigen klappt. Doch es kann auch ganz anders enden, und davon handelt „In die Wildnis“. Jon Krakauer, bekannt durch sein Buch über die Katastrophe einer Besteigung des Mount Everest, hat die Geschichte von Christopher McCandless anhand dessen Tagebuch, Abschiedsbrief und Gesprächen mit den Leuten, denen er begegnete, sorgfältig recherchiert und Mitte der Neunziger in dem Buch „In die Wildnis“ zusammengefasst. Sean Penn hat die kurze Lebensgeschichte des jungen Mannes verfilmt. McCandless ist ein reicher, verwöhnter Sohn, intelligent und gutaussehend. Vor ihm liegt eine glänzende Karriere und ein gutes Leben. Doch wie so oft, ödet ihn diese gesellschaftliche Enge, das hohle Sein an, und er bricht kurzerhand alle Brücken hinter sich ab und begibt sich auf eine zweijährige Wanderschaft quer durch Amerika. Schließlich glaubt er in Alaska gefunden zu haben, wonach er sucht – völlige Freiheit und Einklang mit der Natur. Aber wie es eben so ist, der Einklang mit der Natur funktioniert nur einseitig. Von Romantik keine Spur. Das Glück der Freiheit dauert nur ein halbes Jahr, dann stirbt der junge Mann den einsamen Hungertod. Man sollte meinen, daraus Lehren ziehen zu können und sich zu überlegen, ob das Glück wirklich immer nur in der Ferne zu suchen ist. Aber nein. Nun zieht es junge Leute scharenweise hinaus ins „große Abenteuer“, für eine Woche spielen sie die „Aussteiger“ und pilgern zu dem verlassenen Bus in der Wildnis, um sich in derselben Pose wie McCandless in seinem Selbstporträt wenige Tage vor seinem Tod mit unechtem Grinsen ablichten zu lassen. Eine Verklärung, die abstoßend ist, und eine Nachahmung, die widerlich ist, weil einfach kein Begreifen da ist, dass das Leben von McCandless eine Tragödie war und nichts, was es zu bewundern gilt. Tatsache ist, dass er unfähig war, zu leben und sein Leben verantwortlich in die Hand zu nehmen, dass er immer nur auf der verzweifelten Suche nach etwas war, das unerreichbar war, weil er nicht bereit war, zu sich selbst zu stehen.
Vielleicht hat er nach Erleuchtung gesucht, wer weiß – aber das Bild vom wahren Leben, das er sich gemacht hat, was er für erstrebenswert hielt, war eben nur ein unerfüllbarer Traum. Ohne Kompromisse geht es nicht. Das hat ihm die Natur gezeigt. McCandless hat konsequent durchgezogen, was er für erstrebenswert hielt, das muss man anerkennen, auch wenn ich persönlich es für eine Dummheit halte, denn ich lebe offengestanden gern. Aber dieser Totentourismus auf seinen Spuren ist einfach nur noch ätzende Heuchelei einer gelangweilten Freizeitgesellschaft, die ständig auf der Suche nach dem neuen Kick und Hype ist, ohne dass irgendeiner darüber nachdenkt, welche Bedeutung McCandless‘ Tod hat. So bleibt im Grunde genommen auch nichts von ihm zurück, und sein Tod war ebenso sinnlos wie sein Leben. Zurück bleibt seine traumatisierte Familie, die bis heute nicht begreifen kann, was ihn fortgetrieben hat, und die lernen muss, damit zu leben.

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