S – Das Schiff des Theseus (Abrams/Dorst) 3. Kapitel

Kapitel 3 – Das Auftauchen des S.

An sich ist das die Überschrift zu Kapitel 1, wo S ja das erste Mal auftaucht und auch triefnass ist.

Beilage einer Zeitung über Strakas Brückensprung mit 19 Jahren. Wurde da das Grundsymbol der Versessenheit auf die Zahl „19“ geboren? In der Zahlensymbolik kommt ihr keine sonderliche Bedeutung zu. Sie ist eine „metonische Zykluszahl“ (nach dem das christliche Osterfest berechnet wird – also die Auferstehung), das ägyptische Totenbuch spricht von „19 Gliedern des Körpers, von dem jedes einen eigenen Gott hat“, und im Islam ist es die heilige Zahl der Bahais mit einem 19-Monatigen Jahr zu 19 Tagen. Im Babylonischen war der 19. ein Unglückstag.

Und ansonsten ist die 19 die „kleine Zwanzig“ und daher nicht vollendet.

Ach so, ja, das Buch ist ja auch nicht vollendet – darauf könnte es hinauslaufen. J

VMS und Bouchard, Todfeinde und Rivalen wie Holmes und Moriarty. Da läuft etwas zwischen ihnen, das sie anscheinend als Spiel bezeichnen, was aber sicherlich keines ist. „S“ ist der Code dazu. Oder auch nicht. Bouchard wird bisher nur von Jen und Eric erwähnt, nicht von FXC in den merkwürdigen Fußnoten.

Jen gräbt Eric weiterhin an und der gibt sich weiterhin kapriziös. (Wie bei „Gut gegen Nordwind“ von Daniel Glattauer, da lief der Austausch auch lange nur per Mail, harhar.)

Ein Brief von Desjardins, der Erics Arbeit unterstützt, mit einem Obsidianstück. Damit kann der andere/können die anderen das Artefakt nicht mehr vollständig zusammensetzen. Wird Eric also in Gefahr bringen.

Es gibt jetzt mehr nachgetragene Randnotizen als chronologische zum Text.

„S“ ist in einen Streik geraten in irgendeiner Hafenstadt. Möglicherweise hat ihn jemand erkannt. Er glaubt, die Frau Sola aus der Kneipe wiederzusehen und irrt weiter, stolpert über zwei Männer, die Heimliches tun (und dem Äußeren nach klischeebehaftet Böse sind, übrigens „Braunmäntel“), während Jen an Eric einen Brief über ihr „Verschwinden“ schreibt.

S versucht vergeblich, einen Bombenanschlag zu verhindern und flieht mit Überlebenden.

Desjardins, Moodys Doktorvater und Erics Unterstützer, „stürzt“ aus einem Hotelzimmer zu Tode. Eric fliegt nach Paris zur Beerdigung und glaubt an Mord.

Fassen wir mal die Zentralthemen zusammen: 19, die vielfachen Stürze und Wiedergeburten, Vogelnamen, ein Affe und Sola. Und Paranoia. Jede Menge Paranoia.

S – Das Schiff des Theseus (Abrams/Dorst) 2. Kapitel

Kapitel 2 – Die getrennten Zwillinge

Auch hier Nachträge bei den Kommentaren: Jen wird verfolgt und fragt Eric, woher wohl das Geld stammen mag, das er erhält, und warum. (Wir bekommen es dann mit, dass es Serin ist, der aber wohl wiederum Desjardins bezahlt)

Wie kommt man darauf, einen Mann „wegen seines Bartes“ Mahlstrom zu nennen? Verstehe ich nicht.

Eric war in psychiatrischer Behandlung in einer Klinik. Er identifiziert sich immer mehr mit VMS. Und genau wie „S“ wird er angeblich nicht bemerkt, wenn er es nicht will.

Der/die Mitleser hat etwas gestohlen, das Aufschluss über VMS geben könnte.

Jen erweist sich einmal mehr als gute Detektivin, ein extrem talentiertes Mädchen. Bedingt durch den knappen Platz sind die Autoren der Erklärungen enthoben, wie sie das alles hinbekommt. Das gibt von meiner Seite aus einen Minuspunkt, weil es sehr an das Kaninchen aus dem Hut erinnert und sehr bequem ist. (Sie ist auf die nächste Verschlüsselung gekommen. Die erste im vorigen Kapitel habe ich nicht erwähnt, weil sie haarsträubend ist und arg konstruiert wirkt. Wie kommt man darauf, wenn man sich nicht jahrelang damit beschäftigt hat? Das hat Jen nie erwähnt …)

Ach, mit 40 feiert man keine Partys mehr? Das wüsste ich aber! Hey!

Zwei Telegramme, die angeblich von VMS kommen, betreffs FXC, die weiterhin als „sie“ bezeichnet wird – und für mich nach wie vor so nicht vorstellbar ist, auch anhand des Stiles der Fußnoten -, mit einer dringenden Ermahnung, sofort jegliche Sache nach sich, VMS, einzustellen. An ein Magazin gegangen? Kann ich nicht so recht erkennen.

Die Frage aller Fragen ist natürlich (wir kennen ja die 18 anderen Bücher nicht, auf die ständig verwiesen wird): um was für einen Code geht es und warum überhaupt? Um eine große Weltverschwörung? Den da Vinci-Code? Scherzerl am Rande …

Bisher ist ja immer nur die Rede von all den vielen Symboliken und Codes, nur kann ich die so nicht erkennen, wenn man es mir nicht sagen würde, und der Sinn erschließt sich mir nicht. Jedes Mal, wenn etwas als „Beleg“ gebracht wird, stellt sich heraus, dass es Mumpitz ist – sowohl von VMS, als auch von FXC, als auch von Jen und Eric.

Der Poe-sche (und Gogolsche) Alptraum auf dem Schiff geht weiter; S will mehr herausfinden und wird daran gehindert. Der Affe (wofür der wohl ein Symbol darstellt …) ist jetzt an Bord. Dann gibt es einen Sturm, und S fällt (wieder) ins Wasser.

Jemand ist dabei, alle Obsidianstücke weltweit zu stehlen und zusammenzuführen. Ein Artefakt oder Schlüssel, aber sicher auch nur eines/einer von vielen. Oder eine weitere Ablenkung.

Auf S. 74 gibt es die chronologisch letzte nachträgliche Eintragung von Jen in schwarzer Tinte, die eine Auflösung anbietet über die verschwundenen Seiten.

Ich bin über dieses Kapitel etwas im Zwiespalt. Zwar einerseits dankbar darum, dass es so schnell mit der Durcharbeitung ging, andererseits befürchte ich aber, das geht jetzt so weiter. Das Buch „S“ scheint eine metaphorische Reise oder auch ein Fiebertraum zu sein, vielleicht auch eine „Biographie“ VMS’ selbst nach einem seiner schlimmsten Momente oder während einer schweren Erkrankung. Die politische Richtung, der Thriller an sich, weiß ich nicht, wohin das führen soll. So viele vermutete Codes, die man nicht entschlüsselt, weil man gar nicht weiß, was eigentlich verschlüsselt wurde.

Verknüpft sind alle Schicksale damit, auch die von Jen und Eric.

Na, sehen wir mal weiter …

S – Das Schiff des Theseus (Abrams/Dorst) 1. Kapitel

Kapitel 1 – Was beginnt, was endet

Im Text selbst gibt es zwei Szenen: Mann ohne Gedächtnis läuft nachts durch unbekannte Stadt, landet in einer Kneipe, trifft da eine junge Frau, wird entführt und kommt auf einem kapitänlosen Schiff mit Matrosen mit zugenähten Mündern zu sich.

Der Romantext ist mit Fußnoten von FXC begleitet. Und zwar insofern, als die Situation bzw. Person sofort analysiert wird. Abgesehen davon, dass das Igitt ist und in einem normalen Werk nicht vorkommen sollte (Fußnoten an sich sind schon ätzend), wird hier natürlich klar, der literarische Text ist pillepalle, das Werk an sich ist ein Code für wasweißich, eine Parabel zu ebenfalls wasweißich.

Jen erläutert gleich auf der ersten Seite die Theorien bezüglich VMS, FXC und dieses Buches. Die Codierscheibe (hinten eingelegt) wird erwähnt, man kann sie auch schon anwenden. Da ich keine Ahnung habe wie, bleibt sie dort, wo sie ist.

Auf der Vakatseite beschwert Jen sich, dass sie XXX Namen nicht kennt. Er weicht aus, sie recherchiert, er meint, sie habe ihn erwischt, und dann folgt von ihr in anderer Farbe, dass er sich für ganz schlau gehalten habe. Also: Der recherchierte Name ist falsch. Weg damit.

Im folgenden zeigt XXX sich ebenso paranoid wie VMS und FXC, er fühlt sich verfolgt, spricht von Bedrohungen; und hat ein ernstes Problem mit seinem Doktorvater.

Im Text wird jetzt das „S“ erwähnt. Ein Mann ohne Orientierung und Erinnerung ist unterwegs und hat unterwegs ein paar Begegnungen, von Bedeutung oder nicht.

Jen weiß nicht, ob sie weiterhin tun soll, was man von ihr erwartet, und XXX rät ihr natürlich ab, sie sieht ihn aber als schlechtes Vorbild.

Sie stellt fest, dass es in Strakas Welt zu viele Todesstürze gab, und trägt nach, dass dies gedankenlos war, denn dies geschah ja, unterstrichen, Menschen.

Im Text wird der Kapuzineraffe, der sich auf dem Siegel befindet, zum ersten Mal erwähnt. (Kommt auch im Lauf des Kapitels immer mal vor.)

Ständig wechselnde Perspektiven, absolut auktorielle Erzählung.

XXX offenbart endlich seinen Namen „Eric Husch“. Da denke ich doch gleich an „Hush“, steht so wahrscheinlich auch im englischen Original.

J+E ziehen die ersten Schlüsse und stellen nachträglich fest, dass sie wohl richtig lagen, haben aber noch keinen Beweis.

Eric legt eine Liste der Verbrechen (Morde, Attentatsversuche, Bombenanschläge, Verschwörung, uvm), die Straka zur Last gelegt werden. Die Liste ist lang und fürchterlich. Straka scheint in Personalunion eine ganze Geheimloge, der Antichrist und der Höllenfürst gewesen zu sein. Interessant dabei, dass er offenbar nie angeklagt wurde.

Habe mal nach den mir unbekannten Namen gegooglet. Sehr raffiniert, meine Herren Autoren. Seeehr raffiniert.  Trotzdem lese ich jetzt lieber nur das Buch. Mit dem anderen Zeug beschäftige ich mich vielleicht mal.

Das „S“ taucht nun sehr deutlich auf. Die Sprache wechselt von mitleidsvoll zu derb-verachtend.

Eric existiert nun ebenfalls nicht mehr. Er ist im Studiverzeichnis gelöscht und auch ansonsten gibt es keinen Beweis einer „normal existierenden“ Person. Welch nicht mal erstaunliche Parallele, und Jen, obwohl sie Eric unbedingt kennenlernen will, stört sich nicht daran. Da sie bereits zweimal von Liebe (VMS/FXC und in Bezug auf den Text) gesprochen hat, scheint sich hier diese Konstellation zu wiederholen. Da bahnt sich in jedem Fall eine Liebesgeschichte an, wobei es möglich ist, dass Eric die romantische und abenteuerlustige (in die Brüche gegangene Beziehung, gelangweilt vom Studium) Jen nur benutzen will.

Jetzt muss ich doch mal zum Romantext schmunzeln. Der Mann ist also irgendwie zu sich gekommen und versucht herauszufinden, wo er sich befindet, wer er ist, und ob die Leute in der Kneipe mit ihm zu tun haben; das Geld ist ihm fremd. Ich lese gerade von Cees Noteboom das großartige „Die folgende Geschichte“, die einen ganz ähnlichen Beginn hat. Da hat der Erwachte zwar keine Totalamnesie, ist aber auch auf der Suche nach seinem Leben an einem falschen Ort zu sich gekommen.

Auf den S. 20-21 geht es vorwiegend um Jens und Erics Leben. Eric, der plötzlich Geld von einer geheimnisvollen Institution angeboten bekommt für seine Forschungen in Bezug auf das Buch, und dann ist da der „böse“ Doktorvater Moody, dessen Assistentin Ilsa und Jen, die beide ebenfalls kennt. Sie spricht mit beiden nicht über Eric und verhält sich dadurch wie eine Verschwörerin. In Bezug worauf?

„S“ im Buch ist immer noch in einer Kneipe und noch nicht weiter. Der Stil ist zeitlich passend, auch die langsame Erzählweise – und der Inhalt an sich. Ganz klassisch, das alles, mit dem namenlosen Zeugs, Geheimnissen, Fragen … wie bei Gogol.

Jen beeindruckt Eric im Folgenden mit der Kopie einer Seite zu einem geheimnisvollen Kloster und einem noch geheimnisvolleren „S“ (ein „mythischer Bogenschütze“), der ein Buch („S“) über seine bemerkenswerten Erlebnisse auf seiner ewigen Reise verfasst hat. Das Buch gibt es natürlich nirgends, und das Kloster auch nicht. Aber laut Jen eine Website 😉 (ich hab’s nicht nachgeprüft *g*) zu all den „angeblichen Büchern“, und sinnigerweise übereinstimmen das Schiff „Imperia“ und andere Daten aus dem verschollenen Schmöker mit diesem „S“-Roman.

Jen mag Klassiker – wie passend. Aber gut, sie würde sich sonst auch nicht Straka zuwenden. Hätte sie ein rein amouröses Interesse an Eric, hätte sie sich nicht die anderen Werke Strakas reingepfiffen.

Auf S. 24 wird zum ersten Mal, nachgetragen in anderer Farbe, Bezug auf die geheimnisvollen „sie“ genommen, also jene Leute, die das Buch und Straka als gefährlich einstufen. Weiterer Spannungsaufbau, denn ab jetzt sind wir gewiss, dass unsere zwei Leser in Gefahr geraten werden. Auch auf S. 26 gibt es spätere Eintragungen, die beiden sind nun „voll drin“, und Doktorvater Moody und Assistentin Ilsa gehören entweder zum Komplott oder sind ebenfalls auf der Suche. Tja, wonach? („Was war in dem Koffer?“ – „Das hab ich vergessen.“ – Ronin)

Jen betätigt sich im Folgenden als Detektivin und entdeckt, dass FXC weiblich ist, die wohl 1924 mit Straka zusammen auf einem Schiff war. Nettes Glatteis, weil viel zu einfach. Ist nicht schlüssig, nachdem im Vorwort behauptet wurde, dass die beiden erst zum Abschluss von „S“ sich zum ersten Mal begegnen sollten. Also an einer von beiden Stellen wird da handfest gelogen! Dass Eric da nicht längst von selbst draufgekommen sein will? Der Kerl ist ein Manipulator vor dem Herrn. (Wir erhalten übrigens einen Zeitungsausschnitt über seinen Vandalismus.)

Eric setzt einen zweiten Stern zu einer Textstelle, die über das „Fallen“ schwadroniert, das Zentralthema Strakas, der selbst mal „gefallen“ ist (oder sich gestürzt hat). Hier verdichtet sich natürlich der Verdacht, dass Straka – „S“ – über sich selbst schreibt, vielleicht eine Erklärung zu seinem bisherigen Leben und Handeln und dem vorhersehbaren Ende. (Tod oder Amnesie.)

Den Kapiteltitel begreife ich nicht zum Inhalt, wenngleich er zitiert wird. Die Zahl 19 spielt im Roman eine Rolle, bezieht sich aber auch auf Straka selbst (natürlich) mit 19 Romanen, mit 19 hat er aufgehört, Geige zu spielen, etc.

Die Alptraumszene auf dem Schiff geht weiter, das ist wirklich alles ganz klassisch, und ebenso klassisch auch, dass Eric Jen versetzt.

Abrams erweist sich als Filmemacher, der sorgfältig und versiert die Handlung Stück für Stück konstruiert.

S – Das Schiff des Theseus (Abrams/Dorst) Vorwort

Es ist ein „interaktiver“ Roman, der aus einer Rahmenhandlung, den Randkommentaren zu dem Buch eines fiktiven Autors namens „V. M. Straka“ mit dem obigen Titel zusammengesetzt ist. Hier nun meine Betrachtungen dazu, pro Bereich ein Blogeintrag mit gesondertem abschließendem Fazit. Kann Infos enthalten, die möglicherweise Spoiler sind, so genau kann man das nicht sagen … –

Wir lernen als Erstes auf der Schmutzseite die beiden Leser der Buches kennen: Jen, Studentin kurz vor dem Abschluss, und XXX, der (es ist davon auszugehen, dass er ein Mann ist, anhand der akkuraten Schreibweise als Stilmittel) sich hier namentlich noch nicht vorstellt, der gern promovieren möchte, aber wegen eines Zerwürfnisses mit seinem Doktorvater angeblich nicht kann, und ein Wechsel scheint … schwierig. Also gleich das allererste Geheimnis. Wir erfahren, dass XXX sich bereits seit der Highschool mit dem mysteriösen Autor „V. M. Straka“ beschäftigt und damit ein Endzwanziger, spätestens Anfangsdreißiger ist.

Das Vorwort hat ein gewisser „F.X. Caldeira“ verfasst, der vorgeblich alle Texte übersetzt hat, dieses Werk ist nun das neunzehnte und letzte des Autors, denn augenscheinlich wurde er ermordet, kurz bevor er sich seinem Übersetzer persönlich zeigen und ihm das letzte Kapitel übergeben wollte. Das letzte Kapitel ist also von seiten des Verfassers modifiziert und vor allem zum Ende gebracht, da die letzte Seite angeblich fehlt. Es soll verschiedene Fassungen davon geben.

Wir wissen natürlich auch nicht, inwieweit FXC den Rest des Buches auch modifiziert hat.

VMS und FXC, über beide ist absolut nichts bekannt, nie hat sie jemand persönlich getroffen oder gesprochen. Es ist möglich, dass sie ein- und dieselbe Person sind. Beide beherrschen jedenfalls viele Sprachen; FXC hat die Bücher gleich in verschiedene Sprachen übersetzt, wohingegen der Autor wiederum in anderen Sprachen geschrieben hat. Aha.

Jedenfalls litten beide unter gehöriger Paranoia. VMS, der gefährlichste Autor des beginnenden 20. Jahrhunderts, von FXC so dargestellt, der über sich behauptet, dadurch selbst in größter Gefahr gewesen zu sein.

Sein Vorwort ist unerträglich pathetisch und von Ängsten durchsetzt. Absicht oder Code?

Unsere „Ängste“ sollen geschürt werden, indem wir auf Seite xiv als „Anmerkung“ ein kalligraphisches „S“ erkennen, zu dem XXX in andersfarbiger Tinte (also nachträglich) bemerkt, dass er Jen immer für dieses schöne Zeichen bewundert habe, sie hingegen bestreitet, das Zeichen gesetzt zu haben und es für einen schlechten Scherz hält.

Aaaa-ha, da liest also noch jemand mit, eine geheimnisvolle Macht im Hintergrund.

Also: Ein Thriller!

Schwarz und Blau der beiden Leser ist chronologisch, hellgrau war schon früher von XXX gesetzt worden, andere Farben bedeuten nachträglich eingefügte Anmerkungen.

Die beiden Leser tauschen das Buch abwechselnd durch einen bestimmten Ablageplatz in der Bibliothek in New York aus und führen so ihre Korrespondenz.

Bleibt noch zu bemerken, dass Jen, gerade verlassen worden und im Studienfrust, innerhalb kürzester Zeit die meisten oder alle Werke Strakas gelesen hat, und zwar „vorneweg“, bevor es „ans Eingemachte“ des Textes dieses Werkes geht.

Als Beigabe haben wir einen Brief von VMS an einen „Herrn Grahn“ auf schwedisch und in deutscher Übersetzung, indem er sich über die miserable Verfilmung eines seiner Bücher mokiert. Was da auf schwedisch steht weiß ich nicht mangels Sprachkenntnis (ich nehme aber an, das stimmt so).

Unter Brüdern (Pete Dexter)

Pete Dexter wird erst langsam in Deutschland bekannt, aber es ist schön, dass der Verlag Liebeskind das nun ändert.
„Unter Brüdern“ ertsreckt sich über einen Zeitraum von 1961-1986 und beginnt mit dem 8-Jährigen Peter, der mit ansehen muss, wie seine kleine Schwester vom Nachbarn, der viel zu schnell um die Kurve kommt, überfahren wird.
Peter ist und bleibt ein sehr wortkarger, passiver Typ, der unter dem Trauma dieses Erlebnisses leidet. Und voller Hass ist gegen seinen Onkel und seinen grausamen, machtgierigen Vetter Michael, die ohne zu zögern Peters Vater geopfert haben, um die Mafia zufriedenzustellen. Die Gewerkschaft der Dachdecker in Philadelphia ist genauso korrupt wie die Polizei und genauso machtbesessen wie die Mafia, mit der sie konkurriert. Es gibt keinen Unterschied zwischen beiden. Das Leben der jungen Männer ist geprägt von Gewalt und Angstverbreitung, wobei Peter nie von sich selbst aktiv wird, aber in Michaels Gefolge alles duldet. Bis das Maß voll ist.
Das Buch setzt sich aus hunderten kleiner Szenen zusammen, die mehr oder minder mtieinander verbunden sind. Es ist kein Roman im eigentlichen Sinne, sondern mehr eine Dokumentation, der allerdings die begleitenden Worte fehlen. So erfahren wir leider nichts über das, was die beiden Floods in der Gewerkschaft tatsächlich tun. Stets nur nebenbei wird erwähnt, welche Geschäfte Michael betreibt, gezeigt werden immer nur private Unternehmungen, die stets auf dieselbe Weise enden. Man ist unterwegs, tut irgendwas, wie ein Pferd kaufen, einen Club besuchen, oder sonst irgendwas, schüchtert Leute ein, Ende der Szene.
Weder das Ambiente Philadelphias noch die unterschiedlichen Jahrzehnte sind für mich fassbar. Ich bewege mich irgendwie immer nur im Auto durch die Gegend, die wie an einer Studiorollleinwand an mir vorüberzieht und immer gleich aussieht.
Dexter ist ein großer Autor, aber diesmal ist er kein großer Szenarist. All die Intrigen, Morde, Angst und Schrecken werden immer nur angedeutet, obwohl es dem Buch an Brutalität nicht mangelt. Ich erfahre nicht, wie die Figuren leben, und eigentlich nicht mal wirklich, wie sie denken. Ob in ihrer Umgebung Menschen leben oder nicht, wer weiß.
Dass die Gewerkschaften sich strukturell nicht von der Mafia unterscheiden, wusste ich nicht, das ist das einzig Neue, was ich hier erfahre – und ich weiß aber nicht, ob alle so sind. Es ist ein sehr kleiner Ausschnitt aus dem großen Ganzen, der mir hier präsentiert wird, und ich weiß ehrlich gesagt nicht, wofür. Eine Veränderung, Entwicklung oder auch Scheitern gibt es nicht. Am Ende ist alles so wie vorher, nur 25 Jahre später. Wie es ausgeht, erfahren wir bereits auf S. 1. So ganz verstanden habe ich es aber nicht.

Drood (Dan Simmons)

Vier Jahre lang hat der 1000 Seiten-Wälzer im RUB gestanden, vor Weihnachten habe ich damit begonnen. Und jetzt teilweise aufgegeben. Wobei es für mich nichts neues ist, ein paar hundert Seiten bei Simmons zu überschlagen, wenn er sich in endlosen Schwafeleien und Namensaufzählungen ergeht, die nichts mit der Handlung zu tun haben. Trotzdem.
Wir haben hier also den Ich-Erzähler Wilkie Collins, der über die letzten Jahre mit seinem Freund Charles Dickens berichtet, und über eine Schauerfigur namens „Drood“. Ja, äh, das war es auch schon.

Ich verstehe ehrlich gesagt nicht die Intention von Simmons, einen Schauerroman um zwei der seinerzeit bekanntesten und erfolgreichsten Schriftsteller zu machen mit dem Namen einer Figur, die mit dem unvollendeten Kriminal-Roman über die Waise Edwin Drood von Dickens gar nichts zu tun hat. Was mag da der Initialfunke gewesen sein? Dickens‘ Trauma durch das Zugunglück bei Staplehurst? Aber Collins ist ja der Erzähler, und der labert (sülzfaselschwätz) nur von sich.
Und warum überhaupt erzählt Simmons das fiktive Leben zweier so bekannter Persönlichkeiten? Die Hintergrundrecherche mag ja stimmen (zumindest wohl bei Dickens, bei Collins keine Ahnung), aber warum muss der Rest fiktiv sein, eingebettet in eine wenig originelle Geschichte?
Trotz der interessanten und dynamischen Erzählweise hatte ich von Anfang an Probleme damit zu wissen, dass es sich um reale Persönlichkeiten handelt, und die Darstellung hier kommt mir schon fast wie Leichenfledderei vor. Ich halte es so: wenn historisch (und jetzt nicht nur ein Element, sondern eben weitreichend), dann muss es stimmen. Wenn Collins nicht so gelebt hat (wovon ich mal ausgehe), warum dann so (vor allem unsympathisch) dargestellt? Und auch noch als Ich-Erzähler?
Mich würde interessieren, wie die beiden wirklich waren, nicht, wie ein Dan Simmons sie sich ausdenkt. Das ist so wie der gepiercte kahlköpfige Perserkönig bei Frank Millers „300“ – völliger Quatsch. Wenn schon, dann lieber persifliert in Einzelszenen wie beim „Hundertjährigen, der aus dem Fenster stieg und verschwand“ von Jonasson, dort ist das sehr gelungen, weil eben die historischen Persönlichkeiten stets nur eine kurze Szene haben und von der fiktiven Hauptfigur auf satirische eigenwillige Weise wahrgenommen werden.

Wie fast immer bei Simmons ist das Buch extrem zu lang. Schon bei „Terror“ habe ich ziemlich früh das Handtuch geschmissen, obwohl mir die historische Darstellung supergut gefallen hat, aber das Eismonster schlichtweg eine zweite, ganz andere Geschichte war, die mich so gestört und aus dem Lesefluss und -genuss gebracht hat, dass ich nicht mehr weitergekommen bin, auch nicht mit Überblättern. Nicht bei so vielen Seiten.

Deshalb bin ich auch an der Stelle, als Dickens nach USA reist (und das ist nicht allzu lang nach der Mitte), ausgestiegen. Simmons hatte von da ab einfach nichts Neues mehr zu erzählen, die ohnehin recht dünne Geschichte um Drood war längst abgeschlossen und hatte nichts mehr zu bieten. Trotz des nur gelegentlich aufflackernden Spannungsbogens war die Story bis dahin durchaus unterhaltsam. Mit der (noch ein paar hundert Seiten späteren und von daher inzwischen uninteressanten, weil längst erkannten) Auflösung von Dickens und einer daran anschließenden Abschlussszene von Collins hätte es nach allerspätestens 500 Seiten erledigt sein müssen. Aber sich weiterhin so durch die wachsende Paranoia und das durch Opium weggeknallte Hirn des Ich-Erzählers quälen zu müssen, ist wirklich eine Zumutung. Man weiß ja als Leser (und vermutet es eh schon seit Anbeginn), wie die tatsächlichen Verhältnisse sind, muss man das dann auch noch weitere 400 oder mehr Seiten durchgekaut bekommen? Mit Nebenhandlungen, die wurstegal sind? So habe ich dann nur noch lose geblättert, dann, als erkennbar war, dass ich nichts verpassen würde, den Rest überschlagen und mir nur noch den Schluss vorgenommen.
Befürchtungen hatte ich ja schon – aber müssen sie denn auch zutreffen? Was bitte soll das sein? Simmons erfüllt wieder einmal sein eigenes Klischee, dass er abgesehen von „Endymion“ als Abschluss der Hyperion-Saga (und dieses Ende finde ich wunderschön, ein absolutes Highlight) einfach jedes Ende total vergeigt. Was für ein Kas, dieser Schluss!

Nun, das war nach jahrzehntelanger Treue endgültig mein letzter Simmons. Bin durch. Bewahre lieber Hyperion bei meinen Highlights und vergesse den Rest.

Bridget Jones 3 – Verrückt nach ihm (Helen Fielding)

1997 erschien der erste Bridget Jones-Band „Schokolade zum Frühstück“, wenige Jahre später Teil 2 (wie zumeist, wenn es so nicht geplant ist, ist Teil 1 besser, aber ich mochte auch Teil 2), beide wurden (gelungen) verfilmt, und nun, nach langer Pause, ist also Teil 3 da.
Au weia. Mein erstes Erschrecken, dass der Band knapp über 500 Seiten umfasst, kam nicht von ungefähr und hat sich wieder einmal bewahrheitet. Auf so vielen Seiten diese Thematik – das kann nicht funktionieren, und das tut es auch nicht.
Liegt es vielleicht daran, dass ich exakt so alt bin wie Bridget? Möglich. Aber auch damit kann ich leider keine Gnade walten lassen.
Die 52jährige (2013) Bridget strotzt vor Klischees und peinlichen Übertreibungen, da ist nichts mehr von der tollpatschigen Liebenswürdigkeit ihrer jüngeren Ausgabe übrig geblieben. Zudem ist so manches auch unglaubwürdig, wie etwa, dass sie, das jahrzehntelange Pummelchen, völlig unmotiviert mittendrin innerhalb kurzer Zeit 20 Kilo abspeckt, sich auch mit „60 Kilo“ noch als pummlig darstellt, S. 500: „er hob mich hoch, als wäre ich leicht wie eine Feder, die ich bekanntermaßen nicht bin, es sei denn die Flugfeder einer prähistorischen Riesenflugechse“ – hallo, 60 Kilo????? Geht’s noch? Da komme ich mir ziemlich veräppelt vor. Weil sie angeblich auch nach den wenigen Tagebucheinträgen jede Menge kalorienreiches verdrückt. Dazwischen allerdings isst sie wohl gar nicht mehr. Also, sie ist vorgeblich immer noch zu dick, trägt aber String-Tanga. Ernsthaft? Bäh.
Was Humor war, ist zur übertriebenen Klamotte verkommen. Der Zeitbezug ist zu aktuell, womit das Buch nicht zeitlos sein wird. Die absolut gesichtslose Bridget ist zur Klischeetussi verkommen, die Shoppen geht, zum Frisör, zum Waxing, zum Botox, natürlich Yoga, Pilates und wasweißich, sie stellt sich als uralt dar, was sie aber nicht sein will; ich weiß nicht, wie sie aussieht, und nach dem, was sie tut und wie sie sich benimmt, sorry, will ich sie auch ansonsten nicht kennenlernen. Nachdem sie 20 Kilo abgenommen hat, schreibt sie, aha, nächstes Klischee, an einem Drehbuch, nur um das allzu oft durchgekaute irre Filmbusiness zum Thema zu machen. Erzähl uns mal was Neues, Bridget! Und es ist natürlich wahnsinnig lustig, dass „Hedda Gabbler“ von „Tschechow“ ist. Mal abgesehen davon, ein noch mehr old fashioned Thema ging nicht? (Ach ja, und äh, um was für ein Thema geht es Bridget doch gleich? Wie im übrigen Buch bleibt alles an der Oberfläche.) Hand aufs Herz: Wer von euch erinnert sich an Hedda Gabler? Ich will es gar nicht, weil ich es damals schon sterbenslangweilig fand und weil es in den 70ern schon eine urolle Kamelle war. Und es ist ein Armutszeugnis, wenn sich jemand intensiv damit beschäftigt und das Thema zum Film machen will und nicht mal Titel und Autor genau kennt. Das ist nicht lustig. Das ist traurig.
Was einst innovativ und interessant war, ist abgedroschen und elends langweilig. Dazu kommt mir zu viel – und das ist jetzt im Detail wörtlich zu nehmen, bitte – Pipikackakotzefurz-Thematik, die bis ins letzte Detail ausgearbeitet wird, ach ja, und da waren auch noch die Kopfläuse. Ab und zu habe ich mich ernsthaft gefragt, ob ich zu alt dafür bin. Und vor allem muss ich sagen: So bin ich in gar nichts, weder in meinem Alter, noch in meiner Lebenseinstellung, noch in meinem Verhalten. Ich finde diese überdrehte künstliche Figur nur noch peinlich. Es fehlen die feineren Töne und der Stil einer reifen Frau. Mit dieser Darstellung wird jede Frau in den 20ern mit Panik daran denken, jemals 50 zu werden.
Hinzu kommt: warum hat sie so kleine Kinder? Es ist so viel Zeit vergangen, die könnten bereits im Pubertätsalter sein, was die ganze Sache sehr viel interessanter machen würde. Aber mit den zwei Kurzen kommt noch das Klischee der übertüttelnden hysterischen Mutter dazu, die aber, oh, man merke auf, nur chaotisch ist, immer zu spät zur Schule bringt, ach herrje, das ist halt das, was anders ist an ihr, das mögen wir ja.
Nein, mögen wir nicht. Die Konstellation mit den Kleinkindern ist hirnrissig blöd. Wir mögen auch nicht, dass Bridget den Autoschlüssel suchen muss, weil das so ziemlich 90% aller Leute tun müssen, wir mögen nicht, dass Kopfläuse sich als Thema von Anfang bis Ende durchziehen, weil das einfach eine ganz normale Sache ist, die in Kindergarten und Grundschule gang und gäbe ist, und wir mögen nicht, dass wir jedes noch so unbedeutende Missgeschick bis ins Detail vorhersagen können. Bridget kauft sich einen weißen Mantel, klar ergießt sich Kakao drüber. Bridget hat eine Verabredung mit einem aufregenden jüngeren Mann, klar kackt (da haben wir’s wieder, das Kackethema, das sich noch häufiger durch den Roman zieht als die Kopfläuse, aber trotzdem getoppt wird von Fürzen) ihr ein Vogel auf die Schulter, der Liebhaber übrigens versucht dann, die Kacke vom Busen zu wischen. Aua.
Über 400 Seiten lang ist Bridget eine in ununterbrochenem Selbstmitleid zerfließende Nervensäge. Sie beschäftigt sich nur mit sich selbst und daddelt pausenlos mit SMS (das mit Twitter vergessen wir mal ganz schnell, da habe ich das meiste überblättert), egal wo sie ist und worum es geht, das ist einfach unerzogen. Kann einmal vorkommen, aber hier wird es zum Stilmittel, das ihren Charakter noch mehr verschlechtert. Da gibt es keine Wendungen, keine Überraschungen, alles passiert nach Schema F und sowas von vorhersehbar. Was, frage ich mich, finden der junge Liebhaber und der künftige neue Lebenspartner (der natürlich James Bond ist, drunter tun wir’s nicht) nur an ihr? Bridget ist ätzend. Leider erfahren wir erst nach gut 200 Seiten, wie Mark Darcy umgekommen ist, ein weiteres dramaturgisches Manko, denn sein Tod liegt bei Einstieg bereits 5 Jahre zurück und seine Todesart hat keinerlei Einfluss auf die Handlung. Wir möchten es aber trotzdem gern gleich zu Beginn wissen, damit wir ihn abhaken können.

Erst auf S. 429 dann endlich, endlich! haben wir unsere schrullige, schlagfertige, großherzige und intelligente Bridget wieder, der hie und da ein Missgeschick passiert, die ihrer Umgebung Aufmerksamkeit schenkt, auch wenn sie dabei zerstreut ist (weswegen die Missgeschicke passieren). Sie interagiert, sie setzt sich (zB mit ihrer Mutter) auseinander, sie lässt sich nicht mehr treiben, sondern wird aktiv, und sie wandelt auf Freiersfüßen. Von hier bis S. 471 ist das Buch richtig gut, humorvoll und richtig schön.

Danach wird’s wieder für die gottseidank nur noch wenigen Seiten fad und wir wissen ja, wie es endet, mit Kopfläusen. Ende eines zerrissenen Romans, der aus vielen, vielen Versatzstücken zusammengesetzt wurde, was andere so erlebt haben oder erlebt zu haben glauben und was man unbedingt mit reinnehmen muss, damit es ein zeitgeschichtliches Buch wird, das die Gesellschaft aufs Korn nimmt.
Uncool: Das ist es. Bridget Jones ist absolut uncool.
Helen Fielding wäre besser sich selbst treu geblieben, denn da ist ja immer noch was, wie man auf S. 429-471 erlebt. Vielleicht hat es einfach zu lange gedauert, bis die Geschichte geschrieben wurde. Schade.

Die Abendröte im Westen (Cormac McCarthy)

Ich habe das Buch vorzeitig beendet, weil ich, ganz ehrlich, nicht weiß, was es mir bringen soll.
Das Thema – ich sage bewusst Thema – ist nach dem mexikanischen Krieg angesiedelt. Indianer massakrieren Weiße und Mexikaner auf unglaublich grausame Weise, wobei wir das zum Glück nicht mitbekommen (zumindest nicht in dem von mir gelesenen Teil), sondern erst anhand der aufgefundenen modernden oder skelettierten Leichen erfahren, zu welchen entsetzlichen Abgründen die Menschen fähig sind. Desgleichen andersherum, Freischärler und Skalpjäger aller Couleur massakrieren die Indianer und tragen getrocknete Ohren, Skalps und anderes als Schmuck mit sich herum, verzieren die Sättel mit Menschenhaut und knüpfen Zaumzeug aus Menschenhaar.
Alles klar, ich weiß es. Ich weiß es ab Seite 1, welche wilde Zeit das war, es vergeht keine Zeile ohne Gewalt; auf dem Weg zum Klo, im Saloon, egal wo. Und so setzt es sich fort und fort, wir verfolgen die Reise eines namenlosen jungen Mannes (so um die 17 oder 19, so genau habe ich das dann nicht mehr mitbekommen), und es bleibt immer nur bei dem Thema. Ich weiß, wie es anfängt, ich weiß, wie es endet, ohne vorblättern zu müssen, und ich weiß demnach auch, was in der Mitte passiert. Eine Handlung gibt es nicht, auch keine Geschichte, der Junge treibt so dahin, ohne sich Gedanken zu machen, ohne ein Ziel zu haben.
So ist das Thema ganz gewiss historisch interessant für eine Kurzgeschichte, meinetwegen sogar bis 60 Seiten, aber man ist eigentlich schon weit vorher durch damit. Ich erfahre angeblich, wie die Welt im amerikanischen und mexikanischen Westen damals war, und glaube es trotzdem nicht. Ich glaube nicht, dass da kein einziger Mensch ein Leben oder Gefühle hat, dass alles nur aus brutaler Gewalt, Hunger und Armut besteht. Und wenn es so war, muss ich das nicht wieder und wieder auf fast 400 Seiten durchkauen, ich habe irgendwann alle verstümmelten Leichen gesehen. Ich bin auf jeder Seite genauso weit wie vorher, die extreme Distanz – und die extreme Situation – schafft es nicht, irgendetwas bei dem beschriebenen Schrecken zu empfinden. Das ist eine Millionen Lichtjahre weit entfernte fremde, noch dazu in der Übersetzung unverständlich beschriebene Welt und betrifft mich nicht.
Der Autor schafft es schlichtweg nicht, mir etwas zu erzählen. Denn der Junge, aus dessen Perspektive wir alles erleben, reflektiert nichts, er ist emotional komplett abgestumpft und vegetiert nur dahin, er bringt schon mit jungen Jahren jemanden auf brutale Weise um (ohne sein Leben zu verteidigen, wohlgemerkt), ohne mit der Wimper zu zucken oder danach noch eine Sekunde Gedanken daran zu verschwenden, dass er ein Leben genommen hat. Es ist ihm egal, wie alles andere auch. Eine Entwicklung daraus gibt es nicht.
Hinzu kommt das literarische Stilmittel.
Was bei dem großartigen „The Road“ hervorragend funktioniert mit spröden Dialogen ohne Anführungszeichen und Namen, da es ein Zwei-Personen-Stück ist, passt hier einfach nicht. Mal haben hier die Männer Namen, mal nicht. Auseinanderhalten kann ich keinen, sind alle gleich. Ist sehr anstrengend, zwischen Dialog und Erzählfluss zu unterscheiden, und wer grad mit wem redet.
Dazu auch noch die Übersetzung mit einer überfrachteten Masse an Fremdwörtern (die überhaupt nicht zum Inhalt passen), deren Bedeutung ich nicht nur nicht kenne, sondern die ich auch noch nie gehört bzw. gelesen habe, mit Namedropping von örtlichen Pflanzen, Tieren und Wasweißichalles, was ich nicht kenne, weil ich noch nie in Mexiko war, ohne dass jemals irgendetwas erklärt wird. Ich habe keine Ahnung, wie es dort aussieht, keinerlei Bild vor Augen.
Das ist mir zu anstrengend. Nicht dass das Buch schlecht wäre, McCarthy ist ein großer Dichter. Aber wie gesagt, diese unendliche Monotonie bringt mich nicht weiter, weder vom Philosophischen, noch vom Bildungsmäßigen, noch von der Unterhaltung her (falls man bei so einem Thema von Unterhaltung reden kann). Ich habe mich zwar bis auf Seite 80 durchgekämpft, aber nun habe ich das Gefühl, alle Details zu kennen und schließe hiermit ab, jede weitere Seite wäre ein Zeitverlust.

Before Watchmen 7: Dr. Manhattan

Straczynski ist wieder am Werk, bildlich umgesetzt von Adam Hughes, was mir ganz ausgezeichnet gefällt. Die Story … hm, die lässt mich sehr zwiespältig zurück. Einerseits toll erzählt, und trotz der Zeitsprünge nicht verwirrend – insofern man „Watchmen“ kennt. Andererseits erfahren wir halt überhaupt nichts Neues, denn all das wurde bereits in den Watchmen durchgekaut, abgesehen von einigen Hintergründen, die hier hinzugefügt wurden. Doch Jon Ostermans Geschichte als erwachsener Mann kennen wir sehr gut, und wir kennen viel über das Ultrawesen Dr. Manhattan. Viele Fragen bleiben aber dennoch ungeklärt. Beispielsweise, wieso ist Jon in der Lage, Laurie zu lieben, wie es eindeutig ausgesagt wird und wie wir es auch erleben? Was sind denn überhaupt seine Emotionen, seine Beweggründe? Warum nimmt er auf diese Weise Einfluss auf das Geschehnis, wenn er die Quanten-Parallelen alle kennt? Die Legende vom Huhn und vom Ei: Hätte Ozymandias seinen grauenvollen Plan ausführen können, hätte es den blauen Gott nicht gegeben? Hätte der blaue Gott nicht auf andere Weise einen Weltkrieg verhindern können? Warum hat er das nicht durchexerziert und ausgetestet, was passiert, wenn er auf diese oder jene Weise Einfluss nimmt? Da er zu allen Zeiten gleichzeitig existiert, hätte er jederzeit alles ändern können – wie er es ja dieses eine Mal auch getan hat. Was also hat ihn dazu bewogen, da er augenscheinlich über Emotionen und noch ein menschliches Moralempfinden verfügt, ausgerechnet Ozymandias‘ Plan zu unterstützen, der Millionen (teils ihm nahestehender!) Menschen das Leben gekostet hat? Das hätte mich viel mehr interessiert – „was wäre, wenn“ durchzuspielen; gerade Straczynski wäre dafür der richtige Autor gewesen.
So muss ich sagen: ein gutes, anspruchsvolles Werk für sich, aber dahinplätschernd schwach für die Beendigung des Prequels. Schade.

Den Nachzügler, „Crimson Corsair“ lege ich mir nicht mehr zu, da er lediglich die Comicgeschichte in den Watchmen enthält, die dort fortlaufend erzählt wird, mir also bestens bekannt ist, sowie einen One-Shot über Dollar-Bill, der mich nicht interessiert.

Fazit: Trotz einer gewissen Meckerei kann ich nur sagen: Watchmen-Fans können auf dieses Prequel nicht verzichten. Das höchste Niveau erreicht der erste Band der „Minutemen“, der zu den besten Graphic Novels der letzten Jahre gehört, und den ich schon dreimal gelesen habe. Die folgenden Bände sind von „durchwachsen“ bis „hervorragend“, aber allesamt auf hohem Level. Experiment gelungen.

Before Watchmen 6: Silk Spectre

„Helden – Hippies – Heroin“, unter diesem Motto steht die Geschichte von Laurie, Tochter der ersten Silk Spectre, die in die Fußstapfen ihrer überehrgeizigen und zugleich überbehütenden Mutter tritt. Darwin Cooke und Amanda Conner, die gleichzeitig als hervorragende Zeichnerin wirkt, sind die Autoren dieses überaus gelungenen Bandes der Reihe. Das Flair der 60er/Anfangs-70er wird voll eingefangen und der Mutter-Tochter-Konflikt hervorragend und vor allem nachfühlbar ausgearbeitet. Sally, die einfach nicht aus ihrer Haut kann, und Laurie, die dank ihres starken Charakters dennoch ihren eigenen Weg geht. Eddie, der die Dinge wie immer auf seine Weise regelt. Dazu der wachsende Einfluss der Mafia auf den Drogenhandel (hier ein sehr interessanter Auftritt durch Frankieboy, genannt „Chairman“) mit Designerdrogen, um den Konsumzwang zu fördern und geldgeile Spießer aus den Weltverbesserern zu machen. Eine sehr interessante Thematik, die als Schlusspunkt die Versammlung der „Crime Busters“ wählt, wo Laurie Jon kennenlernt.