Die Vermessung der Welt (Daniel Kehlmann)

Ich weiß nicht, wie man auf die Idee kommt, das Leben von zwei Genies in einem Buch zu erzählen, und noch dazu Alexander von Humboldt und Carl Friedrich von Gauß. Nicht gerade Ikonen der Pop-Kultur (auch wenn Gauß auf dem 10-DM-Schein abgebildet war). Wieso schreibt man so etwas überhaupt? Und dann noch dazu durchgehend in indirekter Rede?
Keine Ahnung – aber seien wir froh drum, dass Kehlmann diese Idee hatte und sie ausführte. Herausgekommen ist ein äußerst vergnügliches, literarisch schön geschriebenes Lebensgeschichten-Buch von wohltuenden rund 300 Seiten, das man einfach nur unter fortwährendem Schmunzeln genießt. Die beiden beschriebenen Genies sind eigentlich schon in ihrer Jugendzeit alte Zausel, verschroben, skurril, weltfremd, versunken in ihrer Wissenschaft und konzentriert darauf, die Welt greifbar und fassbar zu machen, durch Karten und Formeln. Humboldt riskiert dabei sein Leben, ohne es so recht zu merken oder auch nur im Nachhinein wahrzunehmen, und Gauß weiß zwar den körperlichen Genuss mit Frauen zu schätzen, vergisst aber dann schon mal die Romantik einer Hochzeitsnacht, um eine Formel aufzuschreiben, die ihm seit einiger Zeit im Kopf herumgeistert. In einer von Krisen geschüttelten und sich in Wandlung zur industriellen Revolution begriffenen Zeit gehen sie ungehemmt und unbeirrt ihren Weg, bis sie schließlich einander begegnen, im Herbst ihres Lebens. Der eine, immer selbst auf Reisen gewesen, der andere zusehends zum Stubenhocker geraten, der jedoch seinen Geist bis ins All hinausschickt. Wenn man es so betrachtet, gehört das eigentlich schon zusammen.
In ein paar Wochen kommt der Film ins Kino.

Die Hölle ist die Abwesenheit Gottes (Ted Chiang)

Ich kaufe Bücher nicht wegen der Preise, mit denen sie überhäuft werden; das ist im Gegenteil für mich eher ein Warnsignal. Doch in diesem Fall sind die vielen Preise, die der Autor in den vergangenen 20 Jahren eingeheimst hat, absolut verdient. Mit den fünf Novellen legt der Autor intelligente, anspruchsvolle, unglaublich einfallsreiche und großartige Science Fiction vor, wie man sie in dieser Qualität nur selten zu lesen bekommt. Dem Autor gelingt es, trotz seines anspruchsvollen Stils Pageturner zu schaffen, und mit wenigen Strichen charakterisiert er die handelnden Personen, dass man sie lebendig vor sich sieht, mit ihnen lebt, leidet und fühlt. Das Ambiente ist stets skurril und phantastisch im wahrsten Sinne des Wortes, und dennoch sieht man es wie im Film vor sich und kann es sich trotz der auch hier nur wenigen Ausschmückungen vorstellen.
Der Turmbau zu Babel: Um Gott nah zu sein, wird in biblischer Zeit bis zum Himmelsgewölbe und darüber hinaus gebaut. Generationen sind beteiligt, werden geboren und vergehen auf dem Weg nach oben und hinein. Wir begleiten Hillalum auf seiner langen Reise bis zur Wahrheit, wie sie schlicht und überwältigend zugleich ist.
Geschichte deines Lebens: Die schönste, romantischste und traurigste Geschichte des Bandes. Es geht um die Wahrnehmung und um die Zeit (das Thema liebe ich ohnehin), eingebettet in einen First Contact.
Die Hölle ist die Abwesenheit Gottes: Die gemeinste Geschichte. Hundsgemein. Wie finden wir wahre Frömmigkeit? Ach, wir wollen es nicht wissen. Zu Ende gelesen? Mist.
Der Kaufmann am Portal des Alchimisten: Und wieder geht es um die Zeit, diesmal in Form von Zeitreisen, in 1001 Nacht. Was wäre, wenn …? Können wir die Vergangenheit beeinflussen, um die Zukunft zu ändern?
Ausatmung: Eine Metallwelt mit Metallgeschöpfen, die vom Atem des Universums beseelt sind. Ihre Sicht des Universums und die Erkenntnis, dass alles einmal endet. Bittersüß und zärtlich.

Die Flüsse von London (Ben Aaronovitch)

Ein frisch gebackener Police Constable (mit Migrationshintergrund, wie er gern betont) wird zum Zauberlehrling, nachdem er mit einem Geist gesprochen hat, der eine Aussage bezüglich eines grässlichen Vorfalls mit tödlichem Ausgang gemacht hat. So nebenbei muss er auch noch die zerstrittenen Mama und Vater Themse (nicht verheiratet, nicht liiert) miteinander versöhnen, die viele Kinder haben, die alle einen Fluss Londons darstellen.
Ich wusste gar nicht, dass London so viele Flüsse hat, wieder was gelernt. Die Idee ist ganz nett, und der Kriminalfall hätte Sherlock Holmes zur Ehre gereicht. Allerdings plätschert das Buch so dahin, ohne eine echte Spannung aufzubauen. Vor allem haben beide Stränge absolut gar nichts miteinander zu tun, und da die Themses außer Gelaber nichts Bedeutendes produzieren – sie benehmen sich gesittet, bedrohen niemanden, sind halt einfach da – hätte man getrost auf diesen Strang völlig verzichten können. Es mag vielleicht an der Ich-Erzählung liegen, dass keine Nähe zu den Figuren entsteht, am wenigsten zum Erzähler selbst. Obwohl ich jeden Abend weitergelesen habe, musste ich oft erst zurückblättern, um mich wieder hineinzufinden. Weder die Figuren noch die Geschichte erschlossen sich mir, und der britische Humor, den ich sonst sehr schätze, erhebt sich kaum über die Grasnarbe. Ich fühlte mich weder gut noch schlecht unterhalten, und der Ausklang wurde dann recht holterdipolter abgehandelt. Nachdem Peter 300 Seiten lang nicht wusste, wie er es anstellen soll, wird die Versöhnung der Themses auf zwei Seiten abgehandelt. Der Lehrmeister Nightingale, die einzige interessante Figur im Roman, erscheint überhaupt nicht mehr – den sparen wir uns anscheinend für Teil 2 auf. Der recht ausführliche Action-Showdown davor schaffte es auch nicht, meinen Puls in die Höhe zu treiben. Und so ganz durchgeblickt habe ich auch nicht, obwohl alles mehrfach erklärt wird. Vielleicht, weil das Motiv irgendwie nicht recht nachvollziehbar war und ich Täter und Opfer dauert verwechselt habe, und weil ich immer darauf gewartet habe, welche Beziehung nun die Flüsse zu diesem Fall haben und wie alles zusammengeführt wird. Nun – es gab keinen Zusammenhang (bis auf eine einzige Szene, Deus ex machina), was verwirrend ist und es schwer macht, der Geschichte zu folgen, weil die Stränge nicht kapitelweise, sondern absatzweise abgehandelt werden und so der Eindruck einer Verflechtung entsteht, der nicht da ist. Und die beiden Frauen im Leben unseres Constablers, Lesley und Beverly, habe ich ebenfalls permanent durcheinander gebracht. Die Idee mit Punch ist gut, aber auch hier nicht als Knalleffekt gebracht, wie alle Wendepunkte – ebenso die Auflösung – recht unspektakulär daherkommen. Alle Flüsse plätschern so still vor sich hin und nebeneinander her, und es bleibt nichts hängen. Bei dem Auftaktband wird es für mich bleiben.
Gerade noch Durchschnitt.

Der Poet der kleinen Dinge (Marie-Sabine Roger)

Über die kleinen Dinge des Lebens, und dass Behinderung nicht unbedingt etwas mit körperlichen Unzulänglichkeiten zu tun hat.
Alex ist eine Herumtreiberin, die es nirgends lange aushält. Derzeit arbeitet sie in einer Hühnerfabrik irgendwo in Frankreich auf dem Land, aber keineswegs in der Idylle, sondern im tristen, industriegeprägten Umfeld. Sie wohnt privat, die Vermieterin (vermutlich mittleren Alters) richtet die Welt nach ihren Vorstellungen und ist eine typische alles kritisierende Hausfrau, ihr (wahrscheinlich gleichaltriger) Mann hat längst resigniert. (Klischee.) Er hat einen Bruder, Gérard, den Alex Roswell nennt, denn Gérard sieht monströs wie ein Alien aus und ist körperlich schwer behindert (so geboren). Er kann sich auch kaum ausdrücken. Aber sein Gehirn arbeitet gut, und er hat es gelernt, sein Leben von der besten Seite zu sehen. Durch seine unerschütterlich gute Laune und seine schrägen Einfälle, seine Liebe zur Poesie, die er in Gedichten und mit grausam falsch gesungenen Liedern ausdrückt, zeigt er jedem, der ihm zuhören will, worauf es ankommt. Sein Bruder hängt an ihm, behandelt ihn jedoch wie einen Behinderten, und seine Schwägerin sieht ihn nur als nutzloses, nervtötendes und belastendes Anhängsel. Ihr Geduldsfaden reißt, als Roswell bei dem Versuch, sich Popcorn zu machen, die Küche in Brand setzt, und sie plant, ihn heimlich auszusetzen.
Alex, „behindert“ durch ihre Bindungsunfähigkeit, ist fasziniert von Roswells bodenständiger Lebensphilosophie, und bald zieht der schräge Poet auch noch zwei weitere haltlose und im Prinzip gleichfalls „behinderte“ junge Männer in seinen Bann, denen er plötzlich einen Lebenssinn und Lebensfreude gibt.
Der Beginn ist reichlich zäh, da man keinerlei Vorstellung von den handelnden Personen – vor allem von der Ich-Erzählerin – bekommt, die sich absichtlich den androgynen Namen „Alex“ gegeben hat, weil sie ihre Weiblichkeit auf ihren Reisen lieber versteckt. Obwohl sie schon auf die 30 zugeht, benimmt sie sich eher wie ein Teenager; ebenso übrigens die beiden jungen Männer Olivier und Cédric, die wie Anfang 20 wirken. Ebenso habe ich eine Weile gebraucht, bis ich verstanden hatte, dass aus der Sicht von zwei Ich-Erzählern berichtet wird, das war mir nicht von Anfang an klar.
Roswell als Nebenfigur hingegen ist immer verständlich und nachvollziehbar, die Gedichte werden allerdings nur am Anfang erwähnt, dann leider nie wieder.
Das Ende ist ziemlich holterdipolter, obwohl sich da eine Menge Konfliktpotenzial angeboten hätte, was der Geschichte durch mehr Länge und Tiefgang sehr gut getan hätte. So aber wird plötzlich jemand zur Errettung aus dem Hut gezaubert, und zack, schon wenige Seiten später ist alles eitel Wonne. Schön, dass es ein gutes Ende gibt, aber die Hinführung ist viel zu hastig. Als ob die Autorin sonst den vorgegebenen Seitenrahmen gesprengt hätte, führt sie zu einem abrupten Ende.
Es ist eine recht kurze, leicht lesbare, nicht allzu anspruchsvolle Geschichte, die allerdings mit einigen guten bis äußerst gelungenen Zitatsprüchen aufwarten kann und ein kurzweiliges Lesevergnügen bietet.

Ali und Ramazan (Perihan Magden)

Die Autorin ist in ihrer türkischen Heimat Bestsellerautorin, und das ist kein Wunder. Sie kann unglaublich gut erzählen, mit wenigen, aber dafür umso treffenderen Worten. Ein Buch, das wie ein Film ist, das glücklicherweise nur kurz ist und schnell gelesen werden kann, denn es geht ordentlich an die Nieren. Und es bleibt lange was hängen.
Vor allem sind es ja nicht nur die beiden jungen Männer, die eine tragische – auf einer wahren Begebenheit basierenden – Geschichte haben, sondern auch ihr ganzes Umfeld ist zerrüttet, unglücklich und ohne Zukunft.
Die Geschichte von zwei Waisenjungen, die sich als Dreizehnjährige zum ersten Mal im Waisenhaus in Istanbul begegnen und von da an nie wieder voneinander lassen können – ihr kurzes, tragisches Leben lang. Beiden wurde jegliche Chance auf ein normales Leben verwehrt, weil sich der Staat nicht im geringsten für Waisen interessiert. Ramazan ist mit seinen 13 Jahren schon jahrelang vom Direktor missbraucht worden. Er ist längst erwachsen, kennt die Menschen, er kennt sämtliche Sexpraktiken besser als er jemals schreiben können wird, er versteht seine Schönheit einzusetzen – und er liebt Ali. Und Ali liebt ihn. Sie lieben sich mit einer Intensität, die sie beide zerstören wird, weil diese Liebe selbstzerstörerisch zugleich ist. Ohne jemals einen Platz in der Gesellschaft und in sich selbst zu finden, haben sie nur einander, bis zum bitteren Ende.

Gelesene Comics 2012/1

Joshua & Jonathan Luna: Das Schwert (Band 1-4)
Eine aufwendige Geschichte vor griechischem mythischem Hintergrund, eine Reise durch die Jahrtausende mit Handlungseinstieg in der Gegenwart. Protagonistin ist die gelähmte Dara Brighton, deren Familie vor ihren Augen umgebracht wird. Es geht um „das Schwert“, das alle Wunden heilt und ewige Jugend verleiht. Dara, ebenfalls dem Tode geweiht, findet das Schwert, nimmt das Erbe an, und der Kampf gegen Unsterbliche Götterwesen beginnt. Die Zeichnungen sind sehr gut, wenngleich die Figuren recht statisch und gleichförmig gezeichnet. Nix für empfindsame Gemüter, die kein Blut sehen können, Mischung aus Thriller und mystischer Quest. Temporeich, Action, Spannung und jede Menge Hintergrund bis zum Schluss auf hohem Niveau. Sehr empfehlenswert.
Jean Dufaux, Hugues Labiano: Dixie Road
Die USA in den 30er Jahren. Zusammen mit der pubertierenden Dixie reisen wir durch die Südstaaten während der Großen Depression und erleben authentisch Armut, Gewalt, Korruption und Unterdrückung mit. Sorgfältig recherchiertes Doku-Epos, bedingt durch die Realitätsnähe geht es einigemale ziemlich an die Nieren. Hervorragend in Szene gesetzt und pointiert erzählt. Sehr empfehlenswert.
Sylvain Runberg, Juzhen: Konungar (Band 1, Serie noch nicht abgeschlossen)
Eine spannende Wikinger-Saga mit mystischen Elementen – ein opulentes Feuerwerk an großartigen Bildern, eine Geschichte um Macht und Intrigen und mystische Mächte. Die Zentauren – boah. Solche hat man noch nicht gesehen! Frohe Erwartung auf Band 2.
Ange, Démarez: Maries Drachen (Band 1-3) (Serie noch nicht abgeschlossen)
Mittelalterliches/klerikales Fantasy-Epos, schön bebildert. Es geht nicht um klassische Drachen, sondern um etwas, das aus der Paralleldimension herüber möchte, „das Tier“. Und noch mehr, was wir erst nach und nach erfahren werden. Ich bin gespannt auf die Auflösung. Empfehlenswert.
Christophe Bec, Richard Marazano: Absolut Zero (Band 1-3)
SF – Carpenter’s „Ding“ auf französisch. Die Story ist damit auch schon erschöpft, die Ausführung chaotisch, wirr, unlogisch und völliger Mumpitz. Das wird konsequent durchgezogen bis zum dämlichen Schluss. Daumen runter.
Christophe Arleston, Paul Glaudel: Die Meister-Kartographen (Reihe)
Doppelband, in sich abgeschlossene Geschichten. Ein ganzer Planet ist eine einzige mittelalterliche Stadt. Die „Friedlichen Sapientisten“ planen die große Machtübernahme, ihre Gegenspieler sind die „Kartographen“, die neben den Sapientisten als Einzige den Überblick über die Welt haben. Ganz nett, aber grauenvoll gezeichnet. Das Niveau sinkt von Band zu Band. Was für zwischendurch.
Gallié, Andreae: Die Bruderschaft der Krabbe (1-3)
Krebskranke Kinder (die die „Krabbe“ in sich haben) geraten „nach nebenan“ und stellen fest, dass sie einer Verschwörung auf der Spur sind. Es stellt sich aber dann alles als Delirium heraus und später sind alle Ärzte. (Hä?) Der zweite Band ist wegen der skurrilen Reise ganz nett, ansonsten eine überflüssige Krankheitsbewältigungsgeschichte.
Smolderen, Marini: Gipsy (Reihe)
Die nördliche Halbkugel ist im Eis versunken, auf der südlichen verrecken die Leute an der durch das Ozonloch ungebremsten UV-Strahlung. Moderne Beförderung wurde eingestellt, es existiert nur noch eine einzige „gigantische“ (-> nur 6 Spuren, harhar) Autobahn, die die halbe Welt durchzieht, und auf der alle Güter in (kleinen) LKW transportiert werden. Hierbei ist natürlich ein Unternehmen vorrangig, das die Konkurrenz alle machen will, und der Roma-Zigeuner, genannt „Gipsy“, macht ihnen das Leben schwer. „Road Movie“ in Nicolas-Cage-Manier. In alter Tradition gezeichnet und erzählt. Warum ich mich gut unterhalten fühle, weiß ich nicht, aber ich lege mir einen Band nach dem anderen zu.
Mark Millar, Steve McNiven: Nemesis
Nemesis ist DER Superschurke, gegen den alle anderen, selbst der Joker, alt aussehen. Massenmordend (dürfte so an die Million gehen) zieht er durch die Welt, um den besten Cops zu beweisen, dass sie alle nur Stümper sind. Eine Gewaltorgie in Superheldenundschurkenmanier mit einem überraschenden Ende. Yeah!
Valerian & Veronique, Gesamtausgabe: Die Sammlung ist natürlich reine Sentimentalität, denn die Zeichnungen sind nicht gut und die Stories z.T. haarsträubend. Nostalgisches Flair. Hat aber trotzdem was.
Delaby, Dufaux: Ritter des verlorenen Landes (Serie nicht abgeschlossen)
Wieder ein Ritter-Fantasy-Epos mehr mit keltischen Mythen, sehr schöne Bilder. Der erste Band ist ziemlich mau, der zweite dafür umso besser, um nicht zu sagen, klasse. Mal sehen, wie es sich entwickelt.
Mark Millar und Steve McNiven: Wolverine – Old Man Logan
Absolut gar nix für empfindsame Gemüter, hier rollen die Köpfe und spritzt das Blut fast noch mehr als bei Nemesis. 50 Jahre nach dem Tod der Superhelden, Wolverine hat als einziger überlebt (tragisch), haben die Superschurken bzw. deren Nachfahren die USA unter sich aufgeteilt und führen Diktaturen. Der gealterte Logan hat sich aufs Land zurückgezogen und eine Familie gegründet und sich der Tyrannei der Hulks ergeben. Bis ein alter Freund auftaucht und die Grauen der Vergangenheit weckt, die dummen Superschurken ihn nicht in Ruhe lassen, sodass Logan auf einen beispiellosen Rachefeldzug geht … Klasse. Brutal, aber klasse.
Felix Mertikat und Benjamin Schreuder: Steam Noir – Das Kupferherz Band 1
Comic aus deutschen Landen. Die Zeichnungen sind abgesehen von kleineren Ausrutschern recht gut, das Setting mit dem zerknallten Planeten, dessen Schollen durch einen Äther treiben, gefällt mir gut. Es gibt Maschinenwesen und Roboter, und es gibt Kontakt zu einer Scholle toter Seelen, die sich immer wieder in die Welt der Lebenden verirren und dort beträchtlichen Schaden anrichten. Mystik verbunden mit einem Kriminalfall im Dampfmaschinenmilieu, gefällt mir.
Alan Moore, Jacen Burrows: Neonomicon
Och nö. Alan Moore reduziert den Cthulhu-Mythos auf Sex, der daherkommt wie spießige verklemmte Altherrenfantasien à la Heinlein. Verpackt in eine Serienmordgeschichte, deren Ursache und Grund sowieso nicht aufgelöst wird, mit einer mehr als dünnen Klischee-Story und überaus langweiligen und aufgrund des Ambientes sehr kühl daherkommenden Sexszenen, die mehr ver- als enthüllen und absolut harmlos sind. Eine angebliche Nymphomanin als Protagonistin, die aber äußerst prüde ist. Daumen sowas von runter.
Felix Mertikat, Benjamin Schreuder: Jakob
Eine kleine Bildergeschichte über einen neunjährigen Jungen, der seine Mutter verliert. Weil ihm niemand erklärt, dass sie gestorben, sondern „gegangen“ ist, macht er sich auf die Suche nach ihr. Ich würde gern sagen, eine bittersüße Geschichte, aber das ist sie nicht, denn sie hört leider sehr traurig auf. Ich hätte mir für den kleinen Jakob ein glücklicheres Ende gewünscht. Eine kleine Mär über Verlust und Einsamkeit, hervorragend in Szene gesetzt.
Stephen King, The Stand: Hervorragend umgesetzte Graphic Novel des Klassikers.
Sylvain Cordurié, Leo Pilipovic, Ravermoon 01 (noch nicht abgeschlossen)
Medieval Fantasy mit Rittertum und viel Magie. Ravermoon ist die Schwester eines Magiers, der Mitglied einer Gilde der Zeitformer ist, kann vor allem mit dem Schwert umgehen. Die Stadt wird von einer fremden Macht bedroht, die anscheinend pflanzlicher Art ist. Gut gemacht und sehr unterhaltsam.
Alex Alice, Siegfried I-III: Dazu habe ich mich hier schon euphorisch geäußert.
Arleston & Vatine, Lanfeust von Troy, Cixis Geheimnis 1+2 (noch nicht abgeschlossen)
Der Dreiteiler spielt in der Zeit der Hauptserie, wo Cixis Aufenthalt in Eckmühl nicht thematisiert wird. Das Dazwischen wäre also durchaus interessant, ist aber selten dumm und langweilig erzählt. Eigentlich gehts nur um dauernackte Weiber, Zickenkrieg und Sex hinterm Vorhang. Und gut gezeichnet ist es auch nicht. Der dritte Teil kann nicht besser werden. Daumen runter.
Bendis/Oeming, Powers 1 – wer ermordete Retro Girl?
Es gibt sie, die Menschen mit „Kräften“. Sie tun Gutes, aber es gibt auch Schurken. Es ist eine Cop-Geschichte, aber auch eine, was es bedeutet, ein (Super-)Held zu sein. Die Geschichte ist toll und eindringlich und stammt aus den 2000ern. Die Zeichnungen sind typisch 80er und nicht mein Ding, ebenso wenig der Erzählstil mit den teils eine ganze Seite langen immer gleichen Bildern, in denen lediglich die Texte und vielleicht einmal eine Augenbewegung variieren. Das war damals mal ganz nett, aber heutzutage nervt das wie die Wackelkamera, vor allem ist es in der Geschichte inflationär, wodurch sie sehr statisch wird und erheblich an Tempo verliert. Bedingt durch die teils allzu gewöhnlichen Dialoge streckt sich die Geschichte unnötig. Empfehlenswert.
Mark Millar/Leinil Yu, Superior
Hier haben wir ebenfalls eine Was-wäre-Wenn-Geschichte, allerdings auf quasi-religiöse Weise interpretiert, indem ein Mensch seine Seele an den Teufel verkauft. Der 12-jährige Simon, ein Sport-Ass, wurde schlagartig von MS überfallen, sitzt im Rollstuhl und ist auf einem Auge blind. Da kommt ein Space-Affe (sic!) und verwandelt ihn in den Superhelden Superior. Simon tut fortan eine Menge Gutes, doch das hat seinen Preis, und am Ende muss er sich entscheiden. Schön erzählt, schön bebildert.
John Arcudi/Peter Snejbjerg, A god somewhere
Eine weitere Geschichte, die sich darum dreht, was aus einem wird, wenn er plötzlich Superkräfte erhält. Na ja. Angeblich soll ja die Geschichte aus der Sicht der drei Menschen erzählt werden, die den Freund, Bruder und Schwager in ihrer Mitte als Superhelden erleben. Die Geschichte springt aber ständig hin und her zwischen Vergangenheit und Gegenwart, manchmal arg verwirrend, weil die Zeitsprünge nicht chronologisch sind. Dadurch kommt viel Unruhe bis Stockung in den Fluss.
Und leider findet hier gar keine Entwicklung statt. Eric, der beste weiße Freund des schwarzen Sam (aus dessen ausschließlicher Warte wir die Geschichte erleben), zeigt sich von Anfang an extrem gewalttätig und egozentrisch und verhält sich auch als Gott nicht anders, der die Menschen hasst. Sam ist hoffnungslos verliebt in Alma, die Frau von Erics Bruder. Und das war’s auch schon. Am Ende ist Sam immer noch hoffnungslos verliebt, das Leben von Alma und Erics Bruder ist sinnlos zerstört, und Eric hat eine Atombombe auf sich fallen lassen. Warum, erschließt sich mir nicht, ebensowenig seine blinde Grausamkeit und Zerstörungswut. Er ist zu keinem Zeitpunkt einsichtig oder gewinnt irgendeine Erkenntnis (also eine, die auf Verstand schließen lässt). Er ist keine tragische, sondern eine von Anfang an äußerst unsympathische egomanische Figur, die sich als gewissenloser Massenmörder darstellt. Umso weniger glaubhaft, dass er sich dann umbringt. Daumen runter.
Shovel, Zwerg 1: Wyrimir
Der Titel ist irreführend, denn diese Sau kommt auf ca. 3 Seiten vor, und was es mit ihr auf sich hat, keine Ahnung.
Da gibt es also die sehr kleinen Zwerge und ihre Todfeinde, die Sylphen (halbnackerte Weiber, menschengroß), und einen Zwergenhäuptling, der alle Zwergenjungs mit einem besonderen Mal zum Tode verurteilt. Unser Protagonist hat so ein Mal (das man übrigens nie sieht), wird versteckt und macht sich dann auf die Suche nach dem Hintergrund dieses Fluchs. 1000x gelesen, ohne dass es hier zu irgendeiner originellen Handlung oder Spannung kommt. Der Protagonist sieht doof aus und besitzt überhaupt nichts Liebenswertes, wodurch er unsympathisch wirkt und man null Interesse hat, seinen Abenteuern zu folgen. Aber er versteht die Sprache der Tiere und damit wissen wir schon, dass er der Auserwählte ist. Gähn. Schnarch.
Sillage 13 – Kontrolliertes Schleudern
Cannonball im Weltraum – Nävis nimmt daran teil, um heimlich Kontakt mit Wehweh aufzunehmen, der ihr in der Vergangenheit eine Menge verschwiegen hat. Obwohl Wehweh seine Zuneigung und Loyalität beteuert, bricht Nävis endgültig mit ihm. Das Spiel um Intrigen geht weiter und wird umso stärker intensiviert. Eine spannende neue Storyline beginnt hier mit jeder Menge Cliffhangern, denn wir erfahren unter anderem, dass es noch einen Menschen gibt, der genauso ist wie Nävis …
Nachdem ich schon leichte Durchhängereindrücke hatte, nimmt die Geschichte jetzt wieder richtig Fahrt auf und ich erwarte hippelig Band 14 um die attraktive und kompetente Heldin, die man stets als Frisurenträgerin und Anhaberin respektieren kann. Eine der besten (SF-)Serien, die fast durchgängig das hohe (auch zeichnerische) Niveau hält.
Marc Guggenheim/Alex Maleev, Stephen King’s N
Eine Storyline, die nicht sonderlich aufregend ist, weil in lovecraftscher Tradition und damit vorhersehbar. Aber toll in Szene gesetzt und gruslig.
Bill Willingham, Fables(hier: 16+17)
In Band 16 endet die 2. Storyline der Serie mit Mr. Dark, und in Band 17 werden die neuen Fäden geknüpft, auch der Adversary ist wieder eifrig am Ränkeschmieden. Man möchte das Schicksal der Märchenwesen auch weiterhin verfolgen.
Das Einhorn 4, Der Tag der Taufe Historie/SteamPunk/SF
Der Abschluss der Serie kann mich genausowenig überzeugen wie die 3 Bände davor. Keine Ahnung, worum es geht. Um irgendwelche Beziehungen zwischen verschiedenen Arten, Krankheiten, Körperflüssigkeiten und dass eine Intrige nicht klappt. Oder doch. Oder wie.
Golden City 1, Strandpiraten
Also, da gibt’s die arme Landbevölkerung, und die Reichen befinden sich alle in einer Superstadt auf dem Meer. Kids, die ihr Überleben mit Treibgutjagen fristen. Und damit füllen wir bis jetzt 9 Bände, aber ohne mich.
Kreuzzug 6, Sybille
Der zweite Band des zweiten Zyklus, in dem es um Gunther von Flandern und seine weiteren Abenteuer geht. Schön in Szene gesetzt, gut erzählt. Intrigen, Kreuzrittertum, Dschinns und Dämonen. Macht Spaß.
Sukkubus 1, Camilla
Warum Camilla ein Sukkubus ist bzw. was in dieser Serie ein Sukkubus sein soll, wird nicht geklärt. Man erzählt seeehr frei eine Variante der französischen Revolution, Intrigen von einem Haufen geiler Weiber, die alle gleich aussehen und daher ununterscheidbar sind – einige von denen sind gut, die anderen böse, und was Camilla darstellt, keine Ahnung – und dann gibts da noch die hässlichen alten Knackermönche, gegen die die geilen Weiber kämpfen. Völlig konfuse Story. Da helfen auch die tollen Graphiken nicht.

Mary Ann im Herbst (Armistead Maupin)

Da sind sie also, die allerneuesten Stadtgeschichten von Armistead Maupin, die einst in den 70ern in der Tageszeitung begannen. Genau wie bei „Michael Tolliver lebt!“ ist auch dieses Buch ein wenig stiller geworden, und das ist kein Wunder. Alle unsere Lieben aus der Barbary Lane sind in die Jahre gekommen, das Haus selbst gibt es gar nicht mehr, und dennoch halten sie auf die eine oder andere Weise noch zusammen. Auch dieses Mal strömt wieder einiges autobiographisches hinein, wie etwa der Labradoodle oder die zeitgenössischen Themen wie Wirtschaftskrise, mit der auch Michael „Mouse“ Tolliver mit seinem Blumenladen zu kämpfen hat. Maupin schafft es, den sowieso eher unsympathischen Charakter Mary Ann konsequent fortzuführen. Aber auch Mary Ann ist sanfter und desillusionierter geworden, und sie hat Angst – denn sie ist nach San Francisco gekommen, um eine Krebsoperation über sich ergehen lassen zu müssen. (Die OP selbst aber, muss ich sagen, noch dazu bei Krebs, wird ein bisschen zu leicht gemacht – eine Hysterektomie ist die Entnahme eines Organs, was man nicht von heute auf morgen wegsteckt. Aber egal – darum geht es auch gar nicht.) Mary Ann muss sich dabei den Schatten der Vergangenheit stellen, und wieder gibt es einen Toten, der für einige Überraschungen sorgt.
Die Story kann begreiflicherweise nicht mehr an die Geschichten von früher heranreichen, doch für Stadtgeschichtenfans wie mich ist sie rührend und wiederbelebend, dass man gleich Lust bekommt, sie alle noch einmal zu lesen. Logischerweise ist das Tempo gemächlicher, da der Druck der täglichen Zeitung herausgenommen ist, und Maupin nimmt sich Zeit, sodass man eintauchen und genießen kann. Er ist nach wie vor ein wunderbarer Erzähler, und ich freue mich sehr auf den letzten Band, Anna Madrigal, an dem er gerade arbeitet. Netterweise lässt er seine Fans via Facebook an der Entwicklung der Geschichte teilhaben, und ich bin jeden Tag dabei.

tschick (Wolfgang Herrndorf)

Ich habe mir das Buch als TB besorgt und wurde auf den ersten Seiten zunächst mal von euphorischen Rezensionszitaten überhäuft. Na ja, ein bisschen Werbehilfe ist ganz schön, aber hätte man das nicht nach hinten stellen können? Ich möchte mir bitte zuerst gern selbst ein Bild machen. Danke.
Maik Klingenberg hat gerade Sommerferien und sieht sich völlig allein in der elterlichen Villa mit Pool. Mutter ist beim Entziehen, Vater beim Fremdvögeln, und dazwischen gibt es nur Tschick, den russischen Asi. Der klaut einen Lada und geht mit Maik auf Tour. Von Berlin aus irgendwo gen Ex-Zone. Dabei begegnen sie einer Menge skurriler Leute, einer Herumtreiberin, in die Maik sich verliebt, und am Ende bauen sie einen enormen Unfall, der sie auffliegen lässt. Das Gericht tritt schnell zusammen, alles noch in den Sommerferien (!), und stellt fest, dass Asitum keinen Unterschied zwischen Reich und Arm macht, und dass die Eltern schuld sind. Zack, Urteil. Und Maik hat in der Schule endlich was zu erzählen und ist nicht mehr der Loser. Ende.
Und schon gehen meine ganzen hohen Erwartungen nach den feuilletonistischen Höhenflügen flöten. Maik, der 14jährige, benimmt sich eher wie ein 12jähriger, der sich wie ein 8jähriger benimmt. Er entspricht – neben der klischeebehafteten, weil leider allzu realistischen Geschichte – dem hundertprozentigen Klischee des vergeblich in das angesagteste Mädchen verknallten Losers in der Schule, obwohl er eigentlich gute Noten hat und ein helles Köpfchen (wie das zustandekommt, bleibt mir ein Rätsel). Und obwohl seine Eltern ihn schon seit Jahren vernachlässigen, peilt er einfach gar nichts. Er stellt sich dumm an und ist dumm. Es ist nichts an ihm, was auch nur ansatzweise interessant oder gar liebenswert wäre. Ein paar schlaue (ja, wirklich gute!) Lebenssprüche gibt er von sich, durch die man aber leider den Autor hört, denn Maik selbst kann auf sowas nach dieser Charakterisierung und seinem Verhalten gar nicht kommen. Tschick, der schon viel durchgemacht haben muss und an sich ein interessanter Charakter sein könnte, ist einfach nur ein saunetter Kerl, und beide sind mit den Vorgeschichten viel zu harmlos für diese Welt. Sie sind niemals aggressiv, frustriert oder unglücklich, sondern stolpern einfach so dahin, mitten durchs Leben, ohne irgendwo anzuecken. Der Unfall ist die einzige tatsächliche Berührung mit dem Leben und anderen Menschen. Alle Figuren, denen sie unterwegs begegnen, sind oberflächliche Abziehbilder, und irgendwann ist da einfach nur noch Langeweile, weil man sich denkt, also den mit der Knarre haben wir jetzt auch durch, fehlt noch irgendwie die verrückte Krankenschwester. Peng, da ist sie auch schon, auch wenn’s angeblich eine Lehrerin ist. Das größte Manko: Eine Interaktion zwischen den Figuren findet leider kaum statt, alles wird nur von Maik reflektiert, selbst das Mädchen, in das er sich verliebt. Das hat am meisten gestört. Die Schlussszene mit der Mutter passt dann leider gar nicht mehr – ich hätte eher endlich mal eine Aktivität von Maik in Bezug auf das Mädchen erwartet, dass er mal seinen trägen Hintern hochkriegt und es trifft, nachdem das Mädchen immerhin alle Hebel in Bewegung gesetzt hat, um ihn zu finden. Oder wenigstens die Mutter wäre mal aktiv geworden, hätte begriffen, was Verantwortung ist, Zeit wäre es! Aber was macht sie? Weitersaufen, die Möbel aus dem Fenster werfen und sich selbst hinterher. Statt etwas aus dem Leben zu machen, bleiben sowohl die Mutter als auch Maik weiterhin völlig passiv und antriebslos, was einerseits deprimierend konsequent ist, aber leider keinerlei Entwicklung aufweist. Hat Maik denn etwas aus seinem unvergesslichen Wahnsinnsabenteuer gelernt? Nein! Er bleibt, was er ist. Die anderen beachten ihn jetzt nur deswegen, weil er etwas erlebt hat, aber nicht, weil er selbst interessanter geworden ist.
Ich denke, mein vordringliches Problem mit dem Buch ist, dass die beiden Halbwüchsigen nicht authentisch daherkommen. Ich sehe immer den erwachsenen Autor hinter den Jungs, auch wenn sie noch so viel Jugendjargon wie „Alter Finne“ etc. von sich geben, was sicher gut recherchiert ist – aber eben nicht spontan aus der Mitte kommt. Dadurch wirkt die Geschichte konstruiert und nicht „aus dem Leben“.
Das Buch ist angenehmerweise nicht lang, und es liest sich sehr schnell und leicht, ohne weiteren Tiefgang, und ohne dass etwas hängenbleibt. (Nicht mal der Name des Mädchens, in das er sich verliebt hat.) Gut fürs anspruchslose Beachen, denn es ist, ja, das ist es, durchaus eine nette und seichte, stilistisch gut und sauber geschriebene (vielleicht ist es deswegen zu glatt geraten?) Roadmovie-Unterhaltung. Kann aber mit einem „Crazy“ von Benjamin Lebert bei weitem nicht mithalten.

Comic: Siegfried I-III (Alex Alice)

Der dritte Teil ist endlich, endlich, endlich eingetroffen nach langer Wartezeit. Aber jetzt ist sie komplett, die Siegfried-Trilogie. „Geboren aus den Wikingersagen und der Musik von Richard Wagner“ heißt es dazu – und genau so ist es.
Die Nibelungensaga, grandios neu erzählt und nach Wagners Oper interpretiert. Und es ist dem Künstler – der Text und Zeichnungen gestaltet hat – tatsächlich gelungen, eine Oper aufs Papier zu bannen, man hört förmlich die Musik, und jedes Bild ist eine eigene Komposition. Gleichzeitig ist es aber auch ein Sketchboard zum Film, der beim Blättern vor einem abläuft. Erzählt wird die Geschichte von Siegfrieds Geburt bis zu Brunhildes Befreiung nach der Tötung Fafnirs.
Es findet sich darin alles, was muss – Verrat, Intrigen, Liebe, Hass, Gier, Ehre und Stolz – verpackt in eine spannende Geschichte voller Verwicklungen, Irrfahrten, seelischer Abgründe und philosophischer Betrachtungen. Genau so, wie eine nordische Sage erzählt werden muss. Die Charaktere sind sehr tiefgründig, die optische Umsetzung der romantischen, tragischen und dramatischen Geschichte grandios, die Texte poetisch.
Ab dem ersten Band völlig begeistert, hält sich diese meine Euphorie bis zum Schluss. Einzigartig!

Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand (Jonas Jonasson)

Allan Karlsson ist gerade eben 100 Jahre alt geworden, und alle wollen das große Ereignis feiern. Außer ihm, und das hat seinen guten Grund. Allan haut aus zwei Gründen aus dem Altersheim ab: Erstens, weil er im ewigen Streit mit Schwester Alice liegt, und zweitens, weil es dort keinen Schnaps gibt. Das hat er selbst im Gulag nur ein paar Jahre ausgehalten. Er klettert also aus dem Fenster, was ein wenig mühsam, aber dennoch machbar ist, und macht sich auf den Weg. Fragt am Busbahnhof, wie weit er mit dem verfügbaren Geld fahren kann, klaut jemandem, der gerade dringend aufs Örtchen muss, seinen Koffer und setzt damit Ereignisse in Gang, die so überhaupt nicht vorhersehbar sind – wie sein ganzes Leben.

Ein außergewöhnliches Roadmovie aus Schweden und zum Brüllen komisch. Allan findet unterwegs neue Freunde, die ihn begleiten, muss ein paar Leute umlegen, weil die den Koffer zurückhaben wollen (aber das sind wirklich schlimme Finger), und kommt dann in einem weit entfernten Land zur Ruhe und zum Glück seines Lebens. Der Elefant auf dem Cover spielt auch eine Rolle.
Neben der aktuellen Verfolgungsjagd von Gangstern und Polizei rollt sich nach und nach Allans Jahrhundertleben auf, und wir erhalten endlich die Erklärungen, warum die USA die Atombombe fertig kriegten, Stalin aber nicht (allerdings sein Nachfolger), warum Mao seinen Siegeszug halten konnte, warum Churchill nicht in die Luft geflogen ist, wie der Kalte Krieg beendet wurde, und wieso Nixon an Watergate scheiterte.
Es lag alles am Schnaps und Allans Chuzpe, zufällig immer dort zu sein, wo er selbigen – den Schnaps – vermutete, und wo sein Sprachtalent und sein Wissen als Sprengstoffexperte (er kann sehr gut alles hochjagen, einschließlich zuletzt sein eigenes Haus) gefragt war. Allan zeichnet sich als unerschütterlicher Optimist aus, der selbst die schlimmsten Entbehrungen noch mit Witz und Charme überstehen und ihnen etwas Positives abgewinnen kann (solange es Schnaps gibt).
Ein Panorama der Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts, wie man es so noch nie erlebt hat, und ein urkomisches Abenteuer, das zu Recht zum Bestseller wurde und das hoffentlich bald verfilmt wird (aber bitte in europäischer Gemeinschaftsarbeit, weil diese Sicht der Dinge einfach anders ist als jene durch amerikanische Augen).
So viel Lesevergnügen und Pageturner hatte ich schon lange nicht mehr. Dank an die großartige Übersetzung.