Das Wörterbuch des Viktor Vau (Gerd Ruebenstrunk)

Das Buch ist zwar unter „Piper Fantasy“ erschienen, ist aber reinrassige Science Fiction, und zwar so, wie sie sein sollte. Wer wie ich Spin von Robert Charles Wilson geliebt hat, wird auch diesen Thriller zu schätzen wissen. Von dem sperrigen Titel darf man sich nicht abschrecken lassen, hier handelt es sich keineswegs um verstaubte Langatmigkeit, im Gegenteil. In diesem Buch geht es um die Universalsprache, um Zeitreisen, um ein Raumschiff mit einer bedeutenden Botschaft, und außerdem um einen Serienkiller. Die Welt, die uns beschrieben wird, ähnelt der unseren – und doch auch wieder nicht. Es ist eine künftige Welt, die ich auch als durchaus mögliche Zukunft prognostiziere und in diversen Varianten in Kurzgeschichten schon beschrieben habe, und die ihren Ausgangspunkt genau hier und jetzt in den >2010er Jahren nimmt. Ruebenstrunk teilt uns nicht mit, wann die Geschichte spielt, aber anhand eines Zugangscodes kann man von etwa 300 Jahren nach vorn ausgehen (wenn ich mich recht erinnere, ich hab es nicht notiert). Leben kann man zu dieser Zeit nicht schlecht, geschätzt auf dem Niveau von heute, doch es ist politisch die konsequente Fortsetzung der heutigen Scheindemokratie zur reinen Oligarchie, die weiterhin mit den Mitteln der Scheindemokratie arbeitet. Die einzelnen Staaten der EU gibt es nicht mehr, nur noch die Union, und ähnlich wie bei V for Vendetta oder auch 1984 teilen sich die Ministerien in hauptsächliche Überwachungsorgane auf.
Die Geschichte ist spannend aufgebaut, und nicht nur durch das Geheimnis der Universalsprache (übrigens kann ich mich hierzu an einen GEO-Artikel erinnern, den ich sogar noch irgendwo rumliegen haben müsste), sondern auch durch das Zeitreisespiel, was ich persönlich total liebe, diese Unmöglichkeit der Escher-Knoten und Paradoxa, die einen ganz wuschig machen – was leider für das Ende begrenzte Möglichkeiten bot und mir dann doch einiges an Spannung nahm. Es kam halt so wie erwartet. Ich hatte gehofft, es würde anders enden; meiner Ansicht nach hätte es da nämlich, ausgehend von einer aufgeführten Theorie, schon noch ein paar bessere Pointen gegeben. Das ist dann doch wieder Durchschnitt – ganz okay, aber wenig originell.
Was nicht hineinpasst ist die Geschichte des Serienmörders, auch wenn ein innerer Zusammenhang besteht. Doch die Auflösung hierzu ist schwach und aufgesetzt, das Motiv des Killers leider nicht glaubwürdig, weil nicht nachvollziehbar erklärt; kommt irgendwie als Klischee aus der Luft nach dem Motto „huch, das muss ich ja noch erklären …“. Wobei genau das eigentlich gar nicht von Relevanz war, sondern ein anderes, ganz wichtiges Detail, das der Autor schlicht vergessen hat aufzuklären, was mit seiner Bezeichnung „der Florist“ zusammenhängt. Zunächst einmal hat dieser zweite Handlungsstrang vielversprechend angefangen, doch wurde er dann in aller Hast zu Ende gebracht als aufgesetztes Spannungselement. Das hat leider nicht so funktioniert, wie es hätte können.
Was ich übrigens nicht verstanden hatte, waren die Präfixe über den Kapitelnummern. Ich habe versucht, daraus etwas zusammenzusetzen, ist nicht gelungen. Hat sicher mit der Universalsprache zu tun, aber der Sinn erschließt sich mir nicht und wird leider nicht etwa in einer Nachbemerkung des Autors erklärt. Schade.
Außerdem hätte ich gern ein bisschen mehr über die „neue Welt“ erfahren, das Ambiente bleibt recht blass. Hohe Wohntürme, Betonstädte, aber was ist da drumrum? Und die anderen Länder? Und wie leben denn so die normalen Leute? Mehr, mehr, mehr! So zwanzig Seiten dazu verteilt hätte die Geschichte noch gut verkraften können.
Trotzdem: Science Fiction aus Deutschland, ein Thriller noch dazu, richtig gut geschrieben, richtig spannend, mit vielen originellen Ideen und guten Recherchen. Mehr davon!

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