Fast genial (Benedict Wells)

„Fast genial“ kann man von diesem Buch leider nicht sagen. Nicht mal genial daneben. Der Stil ist schlicht und unauffällig, die Charaktere sind schlicht und unauffällig, die Storyline ist schlicht und unauffällig.
Warum eigentlich müssen die meisten jungen männlichen deutschen Protagonisten Schlaffi-Loser sein, die antriebslos dahinvegetieren? Warum besitzen sie in nichts, aber auch gar nichts irgendwelche Fähigkeiten? Warum bleiben sie das den gesamten Verlauf der Geschichte und sind es am Ende immer noch? Mal ehrlich, das sind die Bestseller von heute? Der Klappentext verspricht ein Roadmovie: „Die unglaubliche, aber wahre Geschichte … Abenteuer seines Lebens“. Ja, Pfeifendeckel, unglaublich ist daran sowas von nichts, und dass sie wahr sein soll, macht es umso schlimmer. Der Handlungsort ist Amerika, aber die Geschichte ist deutsch, die Charaktere sind deutsch, man merkt überhaupt nicht, dass man da „drüben“ ist. Mal ehrlich, ich habe als normalharmloser Tourist während meiner Reise dort an den gleichen beschriebenen Stationen in wenigen Tagen mehr skurrile Begebenheiten gehabt als diese Jugendlichen im ganzen Buch auf 320 Seiten.
Ich muss dazu sagen, warum ich so erbost bin. Ich liebe Roadmovies über alles, egal ob Buch oder Film, es funktioniert in beiden Medien. Dass das auch auf deutsch funktioniert, beweisen – mit Abstrichen, denn auch hier bleibt der Protagonist leider ein Loser – Herrndorfs „tschick“ (hier in der Rubrik zu finden) und der wirklich hervorragende Film „vincent will meer“ (in der Rubrik „Filme – 2010“ zu finden).
Also, da erfährt Francis, dass er durch eine „Samenbank der Genies“ (der wahre Ausgangspunkt) gezeugt wurde und macht sich auf die Suche nach seinem Vater. (Wie wir es schon dutzendmal gelesen und gesehen haben, aber das muss ja noch nichts Schlimmes bedeuten … tut es aber leider. Seufz.) Natürlich, wie sollte es anders sein, zusammen mit seinem besten Kumpel (reicher Loser, klar) und einem Mädel, das grad einen Selbstmordversuch hinter sich hat (Vatermissbrauch, auch klar). Dreiecksgeschichte, ich komme.
Wir fahrn, fahrn, fahrn auf der Autobahn.
Logischerweise kriegen die drei an einem Abend Eifersuchts-Krach miteinander.
Wir fahrn, fahrn, fahrn auf der Autobahn.
Francis hat geträumt, dass er in Las Vegas einen Haufen Pennunse gewinnt, also fahren sie hin, und logisch, er verliert, dann, logisch, gewinnt er so richtig, und dann, logisch, natürlich ist er ein Depp und keiner hindert ihn, hat er im nächsten Moment alles falsch gesetzt und ist total pleite. Alles weg! Boah, was eine aufregende, unerwartete Wendung. Der arme Bub. Wenn ich nur Mitleid haben könnte. Wenn es mich nur interessieren würde.
Wir fahrn, fahrn, fahrn auf der Autobahn.
So gehts also dahin, nix passiert wie schon auf den ganzen 250 Seiten vorher, was wir nicht schon erwartet hätten, alle sind brav und bieder und langweilig.
Irgendwann findet er seinen Vater (klar, was auch sonst), und oh Überraschung, wer hätte das gedacht – Achtung Plot Point, Achtung, überraschende Hauptwendung! – sein Vater hat geschummelt und ist gar kein Genie sondern ein Loser und ein Depp.
Konsequenz: Francis weiß jetzt, warum er ein Loser ist und wird immer ein Loser sein.
(Häääää?)
Wir fahrn, fahrn, fahrn auf der Autobahn.
War da noch was? Keine Ahnung, ehrlich, hab die Seiten nur noch überflogen.
Am Schluss geht Francis nochmal ins Casino, und ratet mal – Achtung, dramatischer Höhepunkt, Trommelwirbel! – es hört mittendrin auf! Na, sowas aber auch! Wir erfahren nicht, ob er gewinnt. Aber mal ehrlich, abgesehen von so einem bescheuerten No Go-Ende – wen interessiert’s? Wir wissen doch, dass er ein Loser bleibt, er hat sich ja null entwickelt oder verändert.

Das Buch ist so ohne Witz und Charme, die Tragik so oberflächlich dahinplätschernd, dass sie nicht berührt, die Storyline derart vorhersehbar und unoriginell, die Charaktere so uninteressant und langweilig – was für eine vertane Chance! Mein eigenes Leben ist täglich aufregender als das dieser drei Jugendlichen unterwegs. Hallo, ich will nicht miterleben, wie mein Nachbar Deutschermichelmayer jeden Tag verbringt, das habe ich auch so. Ich will ein ROADMOVIE mit skurrilen Begebenheiten und merkwürdigen Menschen! Eine Fiktion, die ja trotzdem wahr sein kann, oder auch nicht, mir doch egal, aber ich will ein Buch, das mich gefangennimmt, egal auf welche Weise, stilistisch, dialogtechnisch, inhaltlich … aber das hier ist einfach gar nix außer gestohlener Lesezeit.

2 Antworten auf „Fast genial (Benedict Wells)“

  1. Vielen Dank für den Kommentar! Ich muss gestehen, es ist so lange her, ich erinnere mich überhaupt nicht mehr daran. Vielleicht würde ich es heute anders sehen. Aber Benedict Wells ist ja auch so seinen Weg zum vielgelesenen Autor gegangen. 🙂

  2. Ich teile Ihre Meinung so gar nicht!
    Mit Fast Genial hat Benedict Wells es – wie nebenbei bemerkt mit allen seiner Romane, die ich bisher gelesen habe – geschafft, mich in den Bann seiner Erzählung zu ziehen. Ich habe das Buch an zwei Tagen durchgelesen und am Ende so richtig mitgefiebert und gehofft, dass die kleine weiße Kugel im richtigen Fach landet und der Protagonist somit gewinnt.
    Immer wieder gelingt es dem Autor, Gefühle und Ängste, die man als junger Mensch dessen Leben sich noch in alle Richtungen entwickeln kann hat, treffend zu beschreiben. Keineswegs habe ich Francis als „Loser“ wahrgenommen, wie Sie ihn hier beschreiben. Ganz im Gegenteil finde ich es eher erfrischend, dass der Hauptfigur, wie in so vielen anderen Geschichten nicht alles zufliegt sondern dass er – so wie es im echten Leben leider eben auch viel zu oft der Fall ist – mit einigen Enttäuschungen und Schicksalsschlägen umgehen und sich seinen Weg im Leben suchen muss.
    Zusammenfassend kann ich nur sagen, dass der Roman auf jeden Fall lesenswert ist und meiner Meinung nach keineswegs für „gestohlene Lesezeit“ sorgt.

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