Grass ist krass

Jan Fleischhauer findet auf SPON deutliche Worte zu Grass‘ „Gedicht“, das in der SZ, La Reppublica und der New York Times veröffentlicht wurde. Wozu? Kann man nur vermuten, wie Jan Fleischhauer auch; ich könnte mir vorstellen, dass da jemand unbedingt ins Gespräch kommen will, weil er vielleicht das Gefühl hat, ihn nimmt keiner mehr wahr. Na ja, aber das könnte man nun wirklich intelligenter und krisenbezogener machen anstatt Stammtischgemaule zur Literatur zu erklären.
Ich versteh übrigens nichts von Gedichten oder gar Lyrik (weil die ganzen Regeln und Rhythmen sehr kompliziert sind), aber dass ein Satz, den man einfach mittendrin durch eine neue Zeile trennt, ganz bestimmt kein Gedicht ist, weiß sogar ich. (Die Wortwahl ist dürftig, ein Sprachrhythmus, -klang oder sogar -melodie nicht vorhanden. Versucht mal, das laut zu lesen. Schauderhaft.) Und das ist nicht nur kein Gedicht, sondern nicht mal gut geschrieben. Was noch verzeihlich wäre, wenn es denn wenigstens von ehrlichen Emotionen getragen wäre.
Si tacuisses und so weiter.

Nachtrag: Grass hat sich abends in den Tagesthemen geäußert, und irgendwie, es tut mir leid, liebe Leute, kann ich das ständige Opfergejammere nicht mehr hören. Alle, die plötzlich im Brennpunkt stehen – berechtigterweise, wie Wulff und Guttenberg – stellen sich selbst als leidendes, verfolgtes Opfer dar, das von Volk und Medien und überhaupt allen unverstanden ist. Also bitte, seid ihr Männer oder Memmen? Erst Maul aufreißen und dann Schwanz einkneifen? Gerade Grass hätte gestern abend – ich meine, hallo, ARD und ZDF gewähren ihm Zeit zum Reden! Wer bekommt schon so eine Gelegenheit! – ganz genau die Debatte dorthin lenken können, wo sie hingehört: Zum THEMA! Wie wär’s zuzugeben, dass das Stück Geschreibsel, was man da abgeliefert hat, wirklich keine großartige Literatur war, weil man den Fehler begangen hat, impulsiv zu schreiben und hinterher nicht mehr nachzuschauen, was man da überhaupt verfasst hat? Wenn etwas „gesagt werden muss“, dann bitte auch wohlformuliert und ausgefeilt, ist Herr Grass nun Literat oder nicht? Oder doch nur einer, der sich als schreibender Politiker verdingt? Grass hätte gestern abend anprangern können, dass man mehr ihn angegriffen hat als auf das Thema einzugehen, das er angesprochen hat. Hat er sich darüber ausgelassen, wie Italien und die USA öffentlich darauf reagiert haben, „was gesagt werden muss“? Da kam wohl eher wenig bis nix, scheint mir. Das ist schon ziemlich dürftig, oder? Ein „Tabubruch“ ist normalerweise Anlass zu einem Skandal. Wo ist denn der? Da wird man weltweit in den größten Tageszeitungen publiziert und glaubt, mordsmäßig Staub aufzuwirbeln, aber Fehlanzeige!
Wenn man als Literat etwas bewegen will, muss man nicht nur das richtige Thema finden, sondern mit seinen Worten aufrütteln, nachdenklich machen, berühren. Das ist Grass nicht gelungen, und dafür macht er alle anderen verantwortlich. Alle anderen sind schuld – welch ein schiefes Weltbild von mangelnder Selbstkritik.
Henryk M. Broder hat in der Welt Online einen Artikel zu dem Auftritt veröffentlicht, dem ich nicht insgesamt zustimmen kann (also das mit dem Antisemitismus, sorry, halte ich schon für arg weit hergeholt und als Argumentation ausgelutscht, den kann ich in dem „Gedicht“ nicht erkennen), aber in weiten Teilen. Ein schönes Zitat muss ich jetzt trotzdem bringen, weil es das Literarische betrifft, worauf es mir ankommt: „Die maßlose Selbstüberschätzung beginnt schon damit, dass er einen Leserbrief als ein „Gedicht“ präsentiert, nur weil er die Zeilen so arrangiert hat, dass sie aus der Ferne einem Poem ähnlich sehen.“
(Das mit dem Leserbrief ist schon ein bissl g’schert.)
Ich bleibe dabei: Wenn „etwas gesagt werden muss“, dann bitte mit den richtigen Worten und mit der richtigen literarischen Zuordnung. Das Traurige ist: Das Thema, das uns schließlich alle angeht und uns bewusst machen sollte, dass die Welt wieder einmal am Rande eines Krieges steht (angedroht durch eine Atommacht!), ist dabei völlig verloren gegangen.
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Gut. Noch ein Nachtrag, und dann ist Schluss, gerade fängt der Ostersonntag an. Neben dem sehr harschen (wie ich finde allzu harschen) Rolf Hochhuth hat sich auch Marcel Reich-Ranicki nun zu Wort gemeldet, und ein paar ausländische Meinungen stehen auch mit dabei. Nachdem Grass inzwischen zurückgerudert ist, soll es auch gut damit sein.
SPON

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