Lynchjustiz en vogue

Am Beispiel des Mordes an der kleinen Lena in Emden zeigt sich die menschliche Mentalität, die immer wieder ein neues Ventil findet, um andere zu jagen, zu hetzen, zu mobben, zu verurteilen, zu diskreditieren und zu lynchen. In weniger sozialisierten Ländern ist das Lynchen körperlich zu verstehen, durch Steinigung etwa, in unseren ach so zivilisierten westlichen Ländern wird die Lynchjustiz psychisch durchgeführt.
Da wird also ein Tatverdächtiger festgenommen, und weder Polizei noch die Medien sind in der Lage, verantwortungsbewusst zu handeln, nein, die reißerischen Aufmacher sind wichtiger, man muss dem Volk ja was bieten: panem et circenses. Es ist unglaublich, in welch lässiger Weise Behörden und Presse mit dem Leben anderer umgehen, die, und so sagt es auch das Gesetz, bis zum Beweis der Schuld als unschuldig gelten. Und hier war der Verhaftete auch noch unschuldig, aber er ist jetzt stigmatisiert und traumatisiert für den Rest seines Lebens – als gerade mal 17jähriger.
Facebook macht’s möglich, da spricht sich alles in Windeseile herum, und Hetzkampagnen sind schnell gestartet und finden rasanten Zulauf. Da wird zum Mord an einem Moslem aufgerufen, der es gewagt hat, öffentlich seine Glaubenskrise (oder war es nicht eigentlich nur Religionskrise?) zuzugeben. Es gibt Initiativen „weg mit XYZ“ und dergleichen Anti-Bewegungen.
Sowohl die Behörden als auch die Medien wissen das. Und anstatt in einem Fall wie Emden bewusst gegenzusteuern und die Informationen möglichst nicht preiszugeben, um dem Mob kein Futter zu geben, werden ihm erst recht Lockmittel vorgeworfen. Und schon finden sich genügend, die von drastischen Maßnahmen bis zum Mord aufrufen.
In den Geschichten aus Entenhausen wird dieses Mobverhalten satirisch ausgereizt: wir haben da beispielsweise Donald als begnadeten Sänger, der wochenlang Erfolge feiert. Aber kaum trifft er ein einziges Mal einen falschen Ton, wird das gesamte Theater von der wütenden Menge in Schutt und Asche gelegt. Im Wilden Westen hat man die Leute schon mal gern ohne Prozess aufgehängt, weil der nächste Richter hunderte von Meilen entfernt ist.
Panem et circenses, es hat sich nie etwas daran geändert. Der Zusammenhalt der Menschen ist immer dann besonders groß, wenn es darum geht, einem anderen eine reinzuhauen.
Man gönnt dem anderen nicht das Beste, um dazu angespornt zu werden, auch das Beste zu bekommen. Nein, man will, dass es dem Nachbarn schlechter geht als einem.
Es ist richtig, dass unsere Justiz in den vergangenen Jahrzehnten sehr lax mit Tätern umgegangen ist und oft die Opfer zu Tätern gemacht hat. Vor allem im wirtschaftlichen Sektor ist es ja Usus, den Täter auch noch zu belohnen, denken wir etwa an die Bankenmanager. Anstatt sie dafür verantwortlich zu machen und sie dazu zu zwingen, den an die Wand gefahrenen Karren wieder lauffähig zu machen, werden die Steuerzahler zur Kasse gebeten. An all diesen Ungerechtigkeiten entzündet sich der Volkszorn – und richtet sich, wie es in der Natur eben auch so ist, gegen die Schwächeren, weil man an die wirklichen Täter nicht herankommt. Und eine Plattform wie Facebook wie auch Twitter bieten da phänomenale Aussichten, gehörig Dampf abzulassen. Über die Folgen denkt keiner nach.

Wir brauchen nicht von Weltfrieden zu reden und ihn uns auch nicht zu wünschen. Es wird ihn niemals geben, denn die Menschen selbst wollen den Frieden nicht. Denn hier, „im Kleinen“, fängt es an. Die Teilnahme an einer Hetzkampagne zeigt, dass den Menschen lieber daran gelegen ist, anderen wehzutun. Das fängt schon in der Familie an, sobald es um Scheidungen oder ums Erbe geht (wollen wir mal eine Statistik aufstellen, welche Erben sich nicht streiten? wie viele Scheidungen friedlich ablaufen?), und das wird dann weitergetragen zu den ersten Rangkämpfen in Kindergarten und Schule (wer ist nicht schon mal „geschnitten“ worden?), und wird fortgesetzt im Arbeitsleben. Ich polemisiere und pauschalisiere hier absichtlich, denn der Mob ist ja nicht die Ausnahme, sondern die überwiegend mehrheitliche Regel. Anstatt einfach zu versuchen, miteinander auszukommen, wird darauf geachtet, dem anderen möglichst viel Schaden zuzufügen. Intrigen, Mobbing, bis zum Stalking.
Die Mechanismen sind alle bekannt, das alles aber zusätzlich noch anzuheizen, ist unverantwortlich, und natürlich zeigt jeder mit dem Finger auf den anderen: Der war’s.
So einfach ist das nicht. Das führt wieder zur Pauschalisierung zurück: Alle sind schuld. Alle sind gleich in ihren niederen Instinkten ohne Hemmung, sie auszuleben.

Dem nächsten, der mir was vom Weltfrieden faselt, haue ich eine rein.

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