CobyCounty ist ein Ort, den es nicht gibt. Ein perfektes, idyllisches Utopia, wie es schöner nicht sein könnte. Alle Fenster gehen zum Meer hinaus, es ist immer schönes Wetter, es gibt keine kalten Winter. Erst mit 27 wird man hier erwachsen, auch wenn man vorher bereits in Lohn und Brot steht. Aber das ist eh kein großer Aufwand, da es keinen „Ernst des Lebens“ gibt. Schon von frühester Kindheit an werden Neigungen gefördert und viele Kurse angeboten. Das alles im gemeinschaftlichen Spiel, obwohl der Individualismus hoch gepriesen ist. Es gibt keine Armut und keine Krankheit und erst recht kein Verbrechen. (Und nicht mal einen einzigen Streit.) Abgesehen vom Touristengewerbe (Hotels, Gaststätten etc) übt man hier künstlerische Berufe aus. Die einen sind Schriftsteller, die anderen ihre Agenten (dito Film). Dazwischen gibt es nicht so viel, noch ein paar Unternehmer im Baugewerbe und so. Es gibt zwar verschiedene Bezirke, wo es Superreiche und weniger Reiche gibt, aber wohlhabend ist jeder. Wer keinen Bock auf Arbeit hat, macht nichts, er hat in jedem Fall sein Auskommen. Ob man nun halb- oder ganztags arbeitet, interessiert niemanden. Und wenn der Frühling kommt, was Party, Saufen und Vögeln ohne Ende bedeutet (da kommen dann auch noch haufenweise attraktive Touristen), arbeitet mit Ausnahme des Gaststättengewerbes überhaupt niemand mehr.
Es gibt zwar einen Bürgermeister, aber was genau der macht, weiß man nicht, und wie sich die ganze Chose am Leben erhält (es ist ganz klar, dass Pharma- und andere Firmen alles im Griff haben), auch nicht. Und wieso nicht die ganze Welt hier leben will, erst recht nicht. Wieso manche Einheimische CobyCounty irgendwann dick haben und „verreisen“, ist klar, denen ist langweilig und sie suchen nach einem Sinn in ihrem perfekten Leben. So macht es auch Wesley, der beste Freund des Ich-Erzählers Wim. Doch als Wesley plötzlich die Stadt verlässt, droht CobyCounty sich für immer zu verändern. Naja, irgendwie muss man ja ein bissl Spannung in den Klappentext reinbringen. Nur dass das halt überhaupt nicht geschieht.
Die Geschichte klingt wie Science Fiction, doch die SF beschränkt sich auf das idyllische CobyCounty, und Geschichte gibt es gar keine. Ähnlich wie Bateman in American Psycho erzählt Wim sein tägliches langweiliges Leben, vom Aufstehen und den Klamotten angefangen. Selbstverständlich gibt es sonst keine weiteren Parallelen (und das ist gut so), doch die Erzählweise und Struktur an sich ähneln sich bei beiden Büchern frappant. (Wobei Ellis eindeutig der bessere Erzähler ist.) Während Patrick Bateman ein gelangweilter Yuppie und Soziopath ist, ist Wim ein egozentrischer, selbstverliebter, melodramatischer Yuppie mit sozialen Defiziten. Er meidet jegliche Bindung, was bis zur Abneigung, seine Freundin außerhalb des Sex zu berühren, führt. Wim fühlt sich von allen verlassen, als Wesley eines Tages auf Selbstfindungstour geht und Wims Freundin Schluss macht, denkt aber nicht die Spur daran, sein eigenes Leben zu hinterfragen. Er reflektiert andere, ohne sie richtig wahrzunehmen und versinkt weiterhin im trägen Selbstmitleid. Ich hatte eine Weile angenommen, dass er hoffnungslos in Wesley verliebt ist, aber Fehlanzeige.
Auf den ersten 50 Seiten des 190-Seiten-Büchleins hatte ich gehofft, es würde irgendeine Pointe geben, nämlich dass alle Klone sind wie bei „die Insel“, oder dass sie sich in einer „Matrix“ befinden, irgendwas halt, was auflöst, wie dieses Utopia existieren kann. Fehlanzeige. Bis zum Schluss gibt es keinerlei Konflikte (außer den persönlichen kleinen emotionalen Begebenheiten von Wim). Es gibt halt ein Feuer, das wohl der neue Bürgermeister gelegt hat, um irgendwelche Neuerungen anzukündigen. Vermutlich wird damit das Ende von CobyCounty eingeläutet, aber das erfahren wir natürlich nicht mehr. Als würden wir einander im Eisenbahnabteil gegenüber sitzen und aus irgendwelchen Gründen eine einseitige Unterhaltung im Fluss bleiben muss, plaudert Wim ohne Punkt und Komma dahin, was ihm gerade in den Sinn kommt, ob das nun einen Zusammenhang hat oder nicht. Wesley ist schließlich wieder da, hat irgendwas gelernt, verrät aber nicht, was. Ein großer Sturm (nach dem Feuer) wird angekündigt und die Stadt evakuiert, doch der Sturm ist nur ein kleines Gewitter, und am Ende hat Wim eine neue Freundin und der Frühling ist da. Das war’s. Der Titel? Klingt einfach nur gut. Ist der Titel eines Films im Buch und hat keinerlei weitere Bedeutung.
Irgendwie hatte ich die ganze Zeit den Eindruck, dass es sich hier um die Exposition eines Buches handelt und die Geschichte anschließend dann mal losgeht. Aber ganz ehrlich, selbst „Concerning Hobbits“ beim Herrn der Ringe war noch bedeutend spannender und amüsanter.
Stilistisch ganz nett, aber noch nicht ausgegoren. Eine leicht gestelzte Umgangssprache, die nicht überdauern wird. Sorry, ich finde nicht, dass das eine literarische Entdeckung ist, das Buch ist für mich purer Manierismus (s.u.) mit irgendwas Bedeutungsschwangerem, dessen Sinn sich meinem schlichten Lesergemüt aber nicht erschließt. Und ganz ehrlich, bei einem bejubelten Literaten erwarte ich ein sorgfältigeres Lektorat! Bitte kein Denglisch wie „Sinn machen“ und „pitchen“, eine Verwechslung von „scheinbar“ und „anscheinend“ ist überhaupt nicht gut und dann auf der letzten Seite noch ein ganz schlimmes englisches Apostroph beim Genitiv … brrrrrrrrr. Da rollt sich mir alles auf. Ein „Mangelhaft“ an den Lektor/die Lektorin, der/die hier nicht aufgepasst hat.
Besonders manieristisch und im Lesefluss äußerst störend ist es, wörtliche Rede in Kursiv (und teilweise auch noch in unterteilte Absätze mit Leerzeilen) zu setzen, und umgekehrt, kursive Gedanken auch noch in Anführungszeichen zu setzen. So was geht einfach mal gar nicht und ergibt ein grässliches Satzbild.
Verständlich, dass das Feuilleton begeistert ist, denn ich bin es nicht.