tschick (Wolfgang Herrndorf)

Ich habe mir das Buch als TB besorgt und wurde auf den ersten Seiten zunächst mal von euphorischen Rezensionszitaten überhäuft. Na ja, ein bisschen Werbehilfe ist ganz schön, aber hätte man das nicht nach hinten stellen können? Ich möchte mir bitte zuerst gern selbst ein Bild machen. Danke.
Maik Klingenberg hat gerade Sommerferien und sieht sich völlig allein in der elterlichen Villa mit Pool. Mutter ist beim Entziehen, Vater beim Fremdvögeln, und dazwischen gibt es nur Tschick, den russischen Asi. Der klaut einen Lada und geht mit Maik auf Tour. Von Berlin aus irgendwo gen Ex-Zone. Dabei begegnen sie einer Menge skurriler Leute, einer Herumtreiberin, in die Maik sich verliebt, und am Ende bauen sie einen enormen Unfall, der sie auffliegen lässt. Das Gericht tritt schnell zusammen, alles noch in den Sommerferien (!), und stellt fest, dass Asitum keinen Unterschied zwischen Reich und Arm macht, und dass die Eltern schuld sind. Zack, Urteil. Und Maik hat in der Schule endlich was zu erzählen und ist nicht mehr der Loser. Ende.
Und schon gehen meine ganzen hohen Erwartungen nach den feuilletonistischen Höhenflügen flöten. Maik, der 14jährige, benimmt sich eher wie ein 12jähriger, der sich wie ein 8jähriger benimmt. Er entspricht – neben der klischeebehafteten, weil leider allzu realistischen Geschichte – dem hundertprozentigen Klischee des vergeblich in das angesagteste Mädchen verknallten Losers in der Schule, obwohl er eigentlich gute Noten hat und ein helles Köpfchen (wie das zustandekommt, bleibt mir ein Rätsel). Und obwohl seine Eltern ihn schon seit Jahren vernachlässigen, peilt er einfach gar nichts. Er stellt sich dumm an und ist dumm. Es ist nichts an ihm, was auch nur ansatzweise interessant oder gar liebenswert wäre. Ein paar schlaue (ja, wirklich gute!) Lebenssprüche gibt er von sich, durch die man aber leider den Autor hört, denn Maik selbst kann auf sowas nach dieser Charakterisierung und seinem Verhalten gar nicht kommen. Tschick, der schon viel durchgemacht haben muss und an sich ein interessanter Charakter sein könnte, ist einfach nur ein saunetter Kerl, und beide sind mit den Vorgeschichten viel zu harmlos für diese Welt. Sie sind niemals aggressiv, frustriert oder unglücklich, sondern stolpern einfach so dahin, mitten durchs Leben, ohne irgendwo anzuecken. Der Unfall ist die einzige tatsächliche Berührung mit dem Leben und anderen Menschen. Alle Figuren, denen sie unterwegs begegnen, sind oberflächliche Abziehbilder, und irgendwann ist da einfach nur noch Langeweile, weil man sich denkt, also den mit der Knarre haben wir jetzt auch durch, fehlt noch irgendwie die verrückte Krankenschwester. Peng, da ist sie auch schon, auch wenn’s angeblich eine Lehrerin ist. Das größte Manko: Eine Interaktion zwischen den Figuren findet leider kaum statt, alles wird nur von Maik reflektiert, selbst das Mädchen, in das er sich verliebt. Das hat am meisten gestört. Die Schlussszene mit der Mutter passt dann leider gar nicht mehr – ich hätte eher endlich mal eine Aktivität von Maik in Bezug auf das Mädchen erwartet, dass er mal seinen trägen Hintern hochkriegt und es trifft, nachdem das Mädchen immerhin alle Hebel in Bewegung gesetzt hat, um ihn zu finden. Oder wenigstens die Mutter wäre mal aktiv geworden, hätte begriffen, was Verantwortung ist, Zeit wäre es! Aber was macht sie? Weitersaufen, die Möbel aus dem Fenster werfen und sich selbst hinterher. Statt etwas aus dem Leben zu machen, bleiben sowohl die Mutter als auch Maik weiterhin völlig passiv und antriebslos, was einerseits deprimierend konsequent ist, aber leider keinerlei Entwicklung aufweist. Hat Maik denn etwas aus seinem unvergesslichen Wahnsinnsabenteuer gelernt? Nein! Er bleibt, was er ist. Die anderen beachten ihn jetzt nur deswegen, weil er etwas erlebt hat, aber nicht, weil er selbst interessanter geworden ist.
Ich denke, mein vordringliches Problem mit dem Buch ist, dass die beiden Halbwüchsigen nicht authentisch daherkommen. Ich sehe immer den erwachsenen Autor hinter den Jungs, auch wenn sie noch so viel Jugendjargon wie „Alter Finne“ etc. von sich geben, was sicher gut recherchiert ist – aber eben nicht spontan aus der Mitte kommt. Dadurch wirkt die Geschichte konstruiert und nicht „aus dem Leben“.
Das Buch ist angenehmerweise nicht lang, und es liest sich sehr schnell und leicht, ohne weiteren Tiefgang, und ohne dass etwas hängenbleibt. (Nicht mal der Name des Mädchens, in das er sich verliebt hat.) Gut fürs anspruchslose Beachen, denn es ist, ja, das ist es, durchaus eine nette und seichte, stilistisch gut und sauber geschriebene (vielleicht ist es deswegen zu glatt geraten?) Roadmovie-Unterhaltung. Kann aber mit einem „Crazy“ von Benjamin Lebert bei weitem nicht mithalten.

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