Wir haben uns an die Seuche gewöhnt. Man hört kaum mehr in der Öffentlichkeit davon, jeder gibt sich tolerant, und außerdem gibt es ja diese tollen Medikamente.
Ich erinnere mich noch sehr gut an den Anfang der 80er, als der Münchner rechtsgerichtete Politiker Peter Gauweiler Internierungslager für Aids-Kranke bauen wollte. Ein Maßnahmenkatalog wurde damals entworfen, der sich schlimmer als ein Horror-Roman liest – denn dort ist alles Fiktion, Gauweilers Pläne aber waren niederträchtige unmenschliche Realität. So richtig mitbekommen haben es nur die Münchner, denn Gauweiler verstand es sehr wohl, zu kaschieren, zu schummeln und zu verheimlichen. Es ist einfach unvorstellbar, was dieser Mann vorhatte, und noch unvorstellbarer, dass man ihn beinahe innerhalb der CSU gewähren ließ. Es schüttelt mich heute noch. Ich habe damals, als ich gerade an „HADES“ schrieb, ein bisschen was von diesem alptraumartigen Schrecken in das Buch gelegt, als von den A-Kranken im Untergrund die Rede war, die sich vor der Obrigkeit versteckten. Mehr war ich damals nicht in der Lage zu schreiben, weil ich nicht damit fertig wurde. Artikel 1 des Grundgesetzes und die Charta der Menschenrechte sollten schlichtweg außer Kraft gesetzt werden. Verdammnis anstatt Hilfe, Fürsorge und Nächstenliebe in einem von einer „christlich-sozialen Union“ regierten Land. Das ist Bigotterie par excellence.
Wir sind damals gerade nochmal an der Katastrophe vorbeigeschrammt, doch vergessen ist sie nicht, zumindest nicht von mir.
Und vergessen werden darf auch nicht, dass Aids nach wie vor eine tödliche Virusinfektion ist, die das Immunsystem angreift. Natürlich helfen Medikamente, viele leben bereits seit 18 Jahren mit HIV positiv, ohne dass die Krankheit bisher ausgebrochen ist. Im Radio wurde heute dazu gesagt, dass diese Medikamente ein normales Leben ermöglichen. Nein, tun sie nicht, denn sie haben erhebliche Nebenwirkungen, sie dürfen nie vergessen werden und müssen teilweise auf die Minute genau eingenommen werden. Die Infizierten lernen, damit zu leben, weil sie damit länger leben. Aber manchmal fragen sie sich bestimmt, ob es das auch wert ist. Denn nach wie vor werden sie wie Aussätzige diskriminiert, dürfen nicht in die USA einreisen, manche Banken wollen den Aids-Test zwingend vorschreiben, und was die Nachbarn dazu sagen, das kann sich jeder von uns denken. Was nützt es schon, darauf hinzuweisen, dass Aids nicht einfach per Handschlag oder Kuss übertragen werden kann. Internierungslager sind gar nicht notwendig – die „Gesunden“ grenzen die … „Andersartigen“ ja schon von sich aus einfach aus. Denn einem gesunden Menschen kann das ja gar nicht passieren. Tja, fragt sich dann nur, woher die vielen infizierten Kinderprostituierten in Asien und Afrika kommen …
Aids ist unheilbar. Wenn man positiv ist, verändert sich das Leben und die Lebenseinstellung. Man lernt die Menschen von einer ganz neuen Seite kennen, mal abgesehen von den eigenen körperlichen und seelischen Befindlichkeiten. Am harmlosesten ist es noch, dass man selbst die Nahestehenden trösten muss, wenn man ihnen die Wahrheit sagt. Keiner von uns, der nicht betroffen ist, kann sich vorstellen, was die Diagnose bedeutet, und welche Konsequenzen sie hat.
Und das ist schade. Viele Infektionen könnten bei mehr Bewusstsein, offenem Umgang damit und mehr Toleranz vermieden werden. Gerade hier kann im Kleinen jeder von uns etwas tun, hier fängt es an.
Wie es weitergeht, könnt ihr am 10.12., dem Tag der Menschenrechte, lesen.