Das vornehmlich Positive am Film ist, dass es keine einzige positive Figur in dem Film gibt. Sie sind alle Menschen in all ihren Facetten und tun das, was sie glauben, tun zu müssen. Ihre Charakterisierung als Individuen tritt umso stärker hervor, indem Hitler und Goebbels als karikierte Figuren der Diktatoren per se aufgeführt werden. So haben wir Idi Amin, Baby Doc, Mussolini und wie sie alle heißen, in historischer und manchmal auch authentischer Bearbeitung erlebt. Hitler/Goebbels sind eine wandelnde Definition, keine lebenden Menschen, und Tarantino entmystifiziert sowohl die Personen als auch ihre Position konsequent. Ich glaube, genau diese Entmystifizierung wird ihm vor allem zum Vorwurf gemacht, dabei sollte man dafür dankbar sein.
Und trotzdem hat Quentin Tarantino nie die Distanz verloren, und er hat es geschafft, keinerlei Bewertung oder gar persönliche Wertung hineinzulegen. Alle sind Charaktere für sich, mit eigenen Motiven, mit eigenen Emotionen und Verzweiflungen. Niemand wird verurteilt, angeklagt oder an den Pranger gestellt. Es gibt keine Guten oder Bösen, nur Menschen. Jeder hat einen Grund für das, was er tut, und findet es nicht immer gut.
Was Tarantino an den Pranger stellt, ist die Ursache so vielen Leids: Verfolgung, Krieg, Unterdrückung, vor allem aber auch die Verherrlichung von Kriegshelden in seinem „Film im Film“, dem „Stolz der Nation“. Und zeigt gleichzeitig die Entwicklung des Kriegs-Film-Helden und Selbstdarstellers, der bei der Filmbetrachtung zum ersten Mal aus der Außensicht erlebt, was er da getan hat, und trotz seiner Überzeugung und dem ursprünglichen Stolz auf seine Tat in dem Moment nur noch von Grauen geschüttelt wird.
Tarantino hat sich mit der Materie intensiv auseinandergesetzt. Der Mann weiß ganz genau, was er da als Thema angefasst hat, und hat sich mit perfider Akribie und Detailperfektion ans Werk gemacht.
Und nur wer so eine Kenntnis hat, kann daraus eine dermaßen perfekte, scharfsinnige, scharfzüngige Parabel gestalten, wie es geschehen ist.
Und dabei ist es immer ganz Tarantino-Stil, seine Kapitelaufteilung, seine Einwürfe, seine Markierungen, die einem immer wieder bewusst machen sollen: Hallo Leute, das ist ein Film. Es ist Kintopp. Es ist eine Parabel, verpackt in ein Märchen.
Die Figur Hans Landa bringt uns eine Metapher über Ratten und Eichhörnchen. Das bringt das Thema auf den Punkt und findet im einzigen realistischen, ersten Kapitel des Filmes statt, bevor die Entmystifizierung und das Märchen beginnt.
Und Tarantino zeigt wieder einmal seine hingebungsvolle Liebe zum Film, zum Kino, schon im zweiten Kapitel, wenn wir uns im Sergio Leone-Western wähnen mit Ennio Morricone-Musik. Selbst die Kameraeinstellungen sind genau angepasst, die Mimik der Beteiligten, als wären wir in „Spiel mir das Lied vom Tod“. Da frage ich mich doch glatt: Hätte es auch einen einzig unartikulierten Aufschrei der erregten Menschenmassen wegen der angeblich überzogenen Gewalt gegeben, wenn sie alle tatsächlich Stetson getragen und Kautabak gekaut hätten? Oder wenn der Handlungsort Asien, Vietnam, Cowboy-und-Indianer-Western gewesen wäre?
Sicher kann man sagen: Muss man unmittelbare Gewalt zeigen? Nein. Muss man nicht. Genau das habe ich mir aber auch beim „Baader-Meinhof-Komplex“ gedacht, als minutenlang auf Leute in und neben einem Auto geschossen wird, als sie zu Brei zerschossen werden, mit Nahaufnahme. Ja: Minutenlang. Oder wie war das doch bei „Soldat James Ryan“? „Passion Christi“?
Das finden wir hier aber gar nicht. Tarantino setzt die Gewalt hier ganz bewusst und explizit – und sehr kurz, sowie in nicht einmal 10% des Gesamtfilms bei zweieinhalb Stunden Länge – ein, weil sie nun einmal Bestandteil des Krieges und der Unterdrückung ist. Und so ganz nebenbei entmystifiziert er dabei auch noch den Mythos des „edlen Wilden“ Amerikas.
Es gibt aber nicht nur viele historische Details, sondern auch viele, viele Anspielungen und Hommagen an Filme, Literatur und mehr.
Bei den vielen Details und pointierten Dialogen bin ich mir sicher, dass ich gar nicht alles mitbekommen habe. Erst so nach und nach in der Aufbereitung erschließt sich mir das Hintergründige, zwischen den Zeilen zu Lesende, so Tiefsinnige, was nicht aufdringlich und mit erhobenem Zeigefinger gebracht wird. (Ein Stichwort hier: Milch. Ja, so etwas Banales wird zur causa dramatica.) Tarantino geht auch sehr behutsam mit Bezeichnungen um. So ist nie von „den Deutschen“ die Rede als Synonym für „die Nazis“, sondern immer nur „die Nazis“. Allein schon der Kunstwort-Titel, unrühmliche Bastarde, wie kann man das falsch verstehen? Und dergleichen mehr. Wie gesagt, ich habe sicher nicht alles mitbekommen.
So kann jeder in dem Film sehen, was er will, und sei es auch nur, dass er einfach nicht zuhört, nicht auf die Milch achtet und sich lediglich auf die 10% Gewalt konzentriert. Damit hat er aber weder den Film noch Tarantino verstanden.
Ach ja.
Die Ratten und die Eichhörnchen. Allein deswegen, allein wegen Kapitel 1 sollte man den Film gesehen haben. Danach kann man ja wieder rausgehen.
Und dann gibt’s da noch (diese Zitate sind nicht zusammenhängend):
Landa: „Ich verstehe nicht, warum er sich gegen den Beinamen „der Henker“ wehrt, wo er doch alles, wirklich alles dafür tut, um ihn sich zu verdienen!“
Landa: Zuvor erklärte er gerade, wie ein Jude denken zu können. Dann: „Sie glauben ja gar nicht, wozu Menschen in der Lage sind, wenn sie erst einmal ihre Würde abgegeben haben.“
Aldo: „Wissen Sie, wenn Sie diese Uniform ausziehen und verbrennen, kann Sie ja niemand mehr erkennen, wer Sie in Wirklichkeit sind. Und damit habe ich ein Problem.“
Ein Meisterwerk eines Regisseurs, der stets sehr viele Emotionen und Kontroversen auslöst, in Grund und Boden verdammt oder in den Himmel gelobt wird. Seine sensible Nase für die Auswahl der richtigen Darsteller hat sich noch nie getäuscht, und so auch hier. Sämtliche Darsteller erfüllen ihre Rolle perfekt.
Die größte Hochachtung aber hat Christoph Waltz verdient, der mit dieser Leistung im bisherigen Kinojahr weitab vor allen anderen auf Platz 1 steht. Chapeau! Meine Verehrung, Herr Waltz. Ich erinnere mich noch an Ihre erste größere Rolle vor langer Zeit in der Tristan- und Isolde-Verfilmung, wie hieß sie, „Feuer und Schwert“? Schon damals sah ich viel Potenzial in Ihnen, das in „Das merkwürdige Verhalten geschlechtsreifer Großstädter zur Paarungszeit“ seinen ersten großen Höhepunkt fand und nun in der Darstellung des perfiden Hans Landa gipfelt. Ich wünsche Ihnen, dass dies der Startschuss zu vielen weiteren guten Rollen ist.
Nachtrag: Gerade im Netz gefunden: Ein Pressespiegel zum Film