Wo ich lebe, Teil 2

… und diesmal ist ganz Deutschland gemeint. Ich habe heute einige Meldungen auf Facebook gelesen, die mich noch fassungsloser gemacht haben als der Wahlausgang. Die meine nach oben offene Fremdschäm-Skala auf einen neuen Höhepunkt getrieben haben. Wofür ich heute statt einer Buddel Wein einen mindestens 79%igen Schnaps brauche und dann viel Freiraum, um im Strahl zu kotzen.

Und das ist ja noch nicht mal alles. Da sagt ein Herr Gauleiter, dass er „die Merkel jagen“ werde. Das wird allgemein scharf kritisiert, übrigens auch von Politikern, übrigens von allen Parteien. Und dann kommt eine Nahles daher und sagt „morgen werden die in die Fresse kriegen“. Ja, danke Popkultur! Oder wo bin ich gerade? Darf das denn wahr sein, kann man das glauben? Doch, hat sie gesagt, persönlich, wurde im Radio wiederholt.

Ich komme aus dem „geht’s noch?“-Sagen gar nicht mehr heraus. Zurück zu meinem ersten Absatz, der Grund für meine Empörung (die Nahles hat nur noch einen draufgesetzt, aber das schafft sie ja immer mühelos): Es scheinen einige Verlage zu überlegen, ob sie angesichts des Wahlausgangs auf die Leipziger Buchmesse gehen, weil „sie sich dort nicht mehr wohlfühlen“.

Ich kann gar nicht sagen, wie sehr ich mich darüber aufrege. Wie fassungslos ich bin. Das wäre so, als würde die ganze Welt sagen „ich reise nicht mehr nach Deutschland, weil da nur Nazis sind, und da fühle ich mich nicht wohl“. Aber das sind wenigstens keine Deutschen, die die Deutschen diskriminieren.
Und das vor allem von VERLAGEN? Diese Diskriminierung? Nur, weil ihnen der Wahlausgang nicht passt (hallo? Demokratie? Die Bürger haben GEWÄHLT?), scheren sie gleich alle, die zufälligerweise im Freistaat Sachsen wohnen, über einen Kamm, und außerdem noch alle Besucher, die nicht im Freistaat Sachsen wohnen, dazu. Offenbar ist das gesamte Messegelände schwerst mit blauen/braunen Viren und Bakterizillen verseucht. Vorsicht, Ansteckung! Äh, nein, Vorsicht Tod!

Das Auswärtige Amt wird gleich eine Reisewarnung herausgeben: Ja nicht nach Leipzig reisen, dort ist es hochgefährlich, da ist Caracas eine Blümchenwiese mit Einhörnern dagegen! Sobald Sie die Stadtgrenze überschreiten, laufen Sie Gefahr, auf der Stelle massakriert zu werden! Oder – noch schlimmer – Sie kriegen die braune Pest und werden wie die! Oder – noch schlimmer – das sind alles Zombies, die … ach nein, das Hirn haben die Damen und Herren Verleger ja schon verloren. Da wenden sich selbst Zombies mit Grauen.

Und vor allem: Wo sollten die sich denn bitte wohlfühlen? Die AfD wurde in ALLEN Bundesländern gewählt, oder woher glauben die, kommen die 13%?

Die Konsequenzen, die die angeblich aufrechten Bürger aus dieser Wahl ziehen, erschrecken mich noch mehr als die 94 Sitze im Bundestag für die braune Suppe. Und allmählich beginne ich zu begreifen, WARUM sie gewählt wurde.

Ich gehe mich jetzt fremdschämen. Prost.

Adé, Buchmesse Leipzig

Fabylon ist ja schon draußen. 2016 haben wir nicht mehr ausgestellt auf der Leipziger Buchmesse, und wie es aussieht, war das die richtige Entscheidung. Vor ein paar Jahren haben die Neuerungen angefangen, und uns wurde mitgeteilt, dass Messechef Oliver Zille ein neues Konzept verfolge. Welches, wurde uns allerdings nicht gesagt. Fakt ist, dass wir gemerkt haben, den Fantasy/SF/Phantastikverlagen wehte ein kräftiger Wind entgegen. Verkaufsverbot, Auslagerung der Comics, und so ging es weiter. Als wir das erste Mal deswegen ausgesetzt hatten, wurden wir angerufen, ob wir nicht doch kommen wollten. Diesmal? Fehlanzeige. Man war wohl froh, uns lästige Krümel loszusein. Von Kollegen, die dort ausgestellt haben, wissen wir, dass die Fantasyhalle mittlerweile zu 50% verwaist ist.

Wenn nun WerkZeugs, wie auf ihrer Facebook-Seite mitgeteilt, auch noch erfolgreich hinausgeekelt wurde, was bleibt da übrig?
„Wegen des Gleichbehandlungsprinzips könne man die Sonderkonditionen nicht unbegrenzt fortführen, so der Chef der Leipziger Buchmesse.“
Wie bitte? Fakt ist, WerkZeugs hat sich in den vergangenen Jahren enorm engagiert auf der Messe, insbesondere mit der Koordination der Leseinsel. Das stemmt man nicht einfach mal so nebenbei. Anstatt dankbar zu sein, Personalkosten zu sparen, sich nicht um die Organisation, die Logistik, die Autorenbetreuung kümmern zu müssen, wird zappelig das Vertragsende abgewartet, um neue Konditionen zu diktieren. Und dann, weil WerkZeugs öffentlich / auf FB mitteilt, 2017 nicht mehr dabei zu sein, tritt Oliver Zille beleidigt im Börsenblatt kräftig nach, mit Behauptungen, die nicht nur so nicht stimmen können – wir kennen WerkZeugs seit vielen Jahren und wissen, wie kommunikativ und kooperativ sie sind -, sondern man stellt sich auch noch derart selbstherrlich dar, dass man schon fragen muss, wohin will Herr Zille denn?
Da scheint es doch sehr um Macht, Gier und … tja, das neue, inzwischen alte Konzept zu gehen, ein Vieljahresplan, dessen Geheimnis immer noch nicht gelüftet wurde.
Ob die Leipziger Buchmesse auf dem richtigen Weg ist, wird sie in nicht mehr allzu ferner Zeit erfahren. Da können die Medien noch so jedes Jahr von einer Rekordmesse berichten, wir wissen es besser. Von Jahr zu Jahr weniger Aussteller, und auch Großverlage überlegen inzwischen schon, ob sie überhaupt noch teilnehmen, weil sich die hohen Ausgaben nicht mehr rechtfertigen lassen.
Es ist insofern schade, weil wir viele Jahre mit großer Freude dabei waren. Leipzig war einfach anders. War.
Börsenblatt