Der Zyklustitel „Meister der Sonne“ allein ist es schon wert, dabei zu sein. Die besondere Aufgabe bei diesem Roman war, die unglaubliche Fülle an Informationen, Personen und Handlungsebenen unterzubringen. Dafür benötigte es, obwohl erst Teil 2 des Kurz-Zyklus von 10 Bänden, ordentlich Recherche und Strukturarbeit. Doch der Anfang, der schrieb sich von selbst.
Ich möchte dazu ein wenig ausführen. Touristisch hat es mich nie nach Russland gezogen. Warum, weiß ich nicht. Ein reines Bauchgefühl. Mit diesem Exposé war ich aber dazu gezwungen, zumindest geistig dorthin zu reisen. Und dabei stellte ich fest, wie vertraut mir das alles dort eigentlich ist. Die Vorfahren meiner Mutter stammen aus Russland. Die „Starros“ waren Großknechte gewesen und entstammten damit gewissermaßen der Mittelschicht. Warum sie ausgewandert sind, ist mir nicht bekannt. Sie ließen sich in Niederbayern nieder und wurden Bauern.
Ein bisschen was muss noch in meinen Genen aktiv sein, denn ich habe sehr früh angefangen, mit zehn Jahren, russische Literatur zu lesen, und zwar genau die dicken, schweren Schmöker. Vor allem Dostojewski hatte es mir angetan. Bis ich 13 war, hatte ich ziemlich alles von ihm gelesen, was auf deutsch zu bekommen war. Und natürlich Tolstoi & Co. So einen seltsamen Eifer in dem Alter mit derart schwerer Kost kann ich nur mit den Genen beantworten.
Mit all diesen Voraussetzungen war ich begeistert, literarisch auf die Reise nach Russland zu gehen – und Petersburg platt zu machen. Das passt doch genau zur russischen Seele; am Ende sind alle tot. Das wollte ich deshalb nicht einfach aus der Außensicht, sondern ganz unmittelbar, mittendrin, mit den Augen der einfachen Leute beschreiben.
Ich habe mit den alten Leuten des 1. Kapitels die Brüder Boris und Arkadi Strugazki, sowie ihre Mutter Alexandra verewigt. Als ich mit 13 Jahren die Science Fiction für mich entdeckte, waren es ihre Werke, die ich als erste las – denn sie waren Russen und ich noch nicht „durch“ mit der russischen Literatur.
Die Trinksprüche sind authentisch, ebenso, dass man ohne sie als Säufer gilt.
Am Ende ihres Lebens hören die „Stugarskis“ ein Summen in der Luft, das so ähnlich klingt wie ein Volkslied. Sie singen mit, in der plötzlichen Gewissheit, dass sie gleich sterben werden. Es ist die Melodie des Untergangs, denn das Summen stammt natürlich von den Waffen der Sitarakh, mit denen sie Petersburg zerbomben, als Antwort auf den Angriff russischer Seite. Diesem Massenvernichtungsschlag können auch die drei Russen in dem schwankenden Boot nicht entkommen.
Alexander Solschenizyn, einer der wichtigsten und eindruckvollsten Literaten Russlands, schrieb „Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch“. Der von mir beschriebene I.D. hat seinen letzten Tag – im Kreml. Er entkommt dem Grauen, indem er sich aufs Land absetzt. Sein Nachname, Schukow, bedeutet „Käfer“. Aber er wird eben nicht als solcher zertreten, sondern zeigt sich mit zähem Panzer. Sein kühl kalkulierender Kollege Morosow, der die Dinge rechtzeitig erkennt und die Flucht vorschlägt, trägt folglich den Namen „Frost“.
Die beiden Russen begreifen genauso wie Professor Oxley, dass der Angriff des russischen Präsidenten mit den Raketen irrer Wahn ist. Behauptungen hin oder her, allen ist klar, dass der Einschlag der Raketen in das Sitarakh-Schiff Petersburg zerstören wird. Dem russischen Präsidenten ist das aber egal, und genau darauf kam es mir an. Diese Unmenschlichkeit habe ich nicht wörtlich ausgeführt, nur im Ansatz: „Du denkst doch nicht, er …“ und „Er … er …“ Nein, das Ungeheuerliche darf nicht laut ausgesprochen werden, um eine Panik zu vermeiden. Eine kleine Hommage an die „Watchmen“, wo am Ende alle Helden die Wahrheit über den „Alien-Angriff“ verschweigen. Bis auf einen – aber für den hatte ich hier keinen Platz.
Für einen kurzen Moment entkommt Petersburg der Vernichtung, als der Raketeneinschlag einfach zerpufft, ohne weitere Auswirkungen. Gezündet oder nicht, lässt sich nicht feststellen, jedenfalls passiert nichts.
Dann beginnt die Tragödie mit den Strafaktionen, Petersburg nahezu zerstört, ein Handelsschiff vernichtet, Zehntausende verlieren das Leben. Stellvertretend für sie habe ich drei alte Russen in ein Boot gesetzt, als berührenden Moment aus der Nähe. Den Rest kann man nur aus der Distanz ertragen.