Watchmen

Ich kann mich noch genau erinnern, als ich die Graphic Novel damals von der Buchmesse mit nach Hause nahm; es muss so Ende der 80er gewesen sein. Der Hype um dieses große Epos setzte gerade ein, aber es gab noch lange keine Internetforen, wo man sich darüber austauschen konnte. Dennoch: Man wusste, da ist eine große Gemeinde, die empfindet genauso wie man selbst.
Es ist eine Parallelwelt, die da im Jahre 1985 gezeigt wird, fast real und doch auch futuristisch, und das liegt nicht nur an den Superhelden.
Und Superhelden sind sie in der Tat, genau das, was man sich darunter vorstellt, der perfekte Archetypus. Sie sind außergewöhnlich, besitzen außergewöhnliche Kräfte, doch tief drin, da sind sie der Typus Mensch: Verletzlich, gewalttätig, desillusioniert, hoffnungsvoll, zynisch, liebend. Die ganze Bandbreite rauf und runter. Rorschach ist der Held der Geschichte, wir begleiten ihn von Anfang bis Ende. „Keine Kompromisse“, sagt er. Und er sagt auch: „Es darf nicht ein unschuldiges Leben geopfert werden, um Millionen Schuldige zu retten.“ Sicher, der Feind meines Feindes ist mein Freund. Doch der große Plan von Ozymandias geht nicht auf, kann nicht aufgehen. Alles, was er geschafft hat, ist für den Augenblick ein Symptom zu bekämpfen. Doch die Ursache ist nicht beseitigt. Der Mensch hat sich nicht geändert, er hat sich nur der veränderten Situation angepasst. Weltfrieden? Keine Spur. Vielleicht heute und morgen, doch eines Tages ist es damit vorbei, und alles beginnt von vorn. Und damit waren dann all die Opfer wirklich umsonst. Sollen es zweihundert Jahre gewesen sein, die man gewinnt, das rechtfertigt nichts, wenn am Ende – und auch als kurzlebiger Mensch muss man ein bisschen weiter denken als ein paar hundert Jahre – genau dasselbe Ergebnis droht, nur vielleicht auf noch brutalerer Ebene. Der Mensch ist, was er ist, er kann durch so eine Aktion nicht „gerettet“ werden. Rorschach hat recht: Die Wahrheit muss bekannt werden. Man kann ein kurzlebiges Ideal nicht auf einer Lüge aufbauen. Das ist kein Dienst an der Menschheit, sondern Verrat an jedem Einzelnen, der ein Anrecht auf Leben und vor allem seine eigene Entscheidung hat. Alles andere ist Diktatur.
Es ist unglaublich, mit welcher Detailtreue Zack Snyder die Vorlage umgesetzt hat, wie er die komplexe Geschichte aufdröselte, notwendigerweise kürzte, und doch als komplettes Ganzes präsentierte, bei dem jemand wie ich, der die Novel mindestens sieben Mal gelesen hat (und immer noch neue Details entdeckt), nicht das Gefühl hat, dass etwas fehlt. Selbst der geänderte Schluss ist auf diese Weise eine schlüssige Weiterführung der ursprünglichen Fassung und funktioniert hervorragend. Auch den Film muss ich mehrmals anschauen, um all die vielen Details zu entdecken, die hier untergebracht wurden. Eines habe ich ziemlich schnell entdeckt, Zimmer Nr. 300 bei Hollis, doch dann ging vieles verloren, weil ich mich auf die Story – obwohl ich sie kannte – konzentrieren musste. Die Detailtreue bei dem Design ist unglaublich, die Darsteller sehen bis in die letzte Haarlocke und das Gramm Fett exakt so aus wie die gezeichnete Vorlage, selbst die Kleidung, der Bademantel, der Blutspritzer auf dem Smiley, die fürchterliche Mütze des Psychiaters, die groteske Nase von Richard Nixon … Die deutschen Synchronstimmen sind sehr akribisch ausgesucht worden, am meisten faszinierend ist die sanfte, immer leicht abwesende Stimme von „Doc Manhattan“. Kritisiert wurde die teilweise überbordende Gewalt. Ich interpretiere das so: In den Superhelden-Comics schlägern die Superhelden, was das Zeug hält, und es endet immer sauber. Gewalt aber ist Gewalt. Es gibt keine gute oder böse. Wenn einer dem anderen die Faust ins Gesicht pflanzt und die Nase bricht, gibt es Blut und Knorpelsplitter, egal ob die Faust nun dem Guten gehörte oder dem Bösen. Die Watchmen verherrlichen keine Gewalt, sie setzen sie ein, wie die Gegner sie auch einsetzen, doch deswegen gibt es am Ende keine sauber verschnürten Ganoven, die nicht mal ein blaues Auge haben. Gewalt ist schmutzig, blutig, zerstörerisch, egal, wer sie einsetzt. Genau das zeigt Snyder.
Die Vorlage ist ein Meisterwerk, das für sich allein steht, und der Film ist es ebenso. Sehr komplex, mit einer Detailfülle, die sich erst nach und nach erschließt (ich fange bei dem Film wieder von vorne an), und dazu die perfekt ausgesuchte, bis in den letzten Ton passende Musik. Es funktioniert auch, dass es bei dem Jahr 1985 blieb.
Was für nicht verfilmbar gehalten wurde, musste nur lange genug warten, um ebenso perfekt wie die Vorlage in ein neues Medium transportiert zu werden. Gratulation, das ist ein zweiter Meilenstein, und ich freue mich schon auf die superlange DVD-Fassung mit dem „Black Freighter“.

Kollegin und Freundin Claudia Kern hat ebenfalls einen Kommentar verfasst: Hier.

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