Jethro Tull: 40 Jahre Power

Zuerst sah der Tag recht trüb aus, als ich gestern in Hanau eintraf; doch am Abend zeigte sich die Sonne zwischen den Zeltbögen des überdachten Amphitheaters. Das Ambiente hätte nicht besser sein können – Blick nach draußen und Frischluft, doch nass konnte man trotzdem nicht werden, und das Zeltdach eignete sich hervorragend für die gelungeneLightshow. Im Vorprogramm trat Saori Jo auf, eine junge Frau mit Klavier und Gitarrenbegleitung, die recht fetzig zur Einstimmung beitrug, erst recht, als Ian Anderson und die Band sie bei einem (sehr schönen) Lied begleiteten. Danach standen wir uns ein wenig die Beine in den Bauch (insgesamt standen wir 180 Minuten), bis es um 21.00 losging. Und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Ian Anderson hat nichts von seinem Feuer und Charme verloren, mit Humor („je älter ich werde, desto mehr liebe ich kurze Musikstücke“) und gut gelaunter, entspannter Selbstparodie bot er eine Show, bei der die Post abging. Die Musik der Band ist ja keinem Genre zuzuordnen, denn sie enthält Elemente von Classic Rock bis Hard Rock, von Blues bis Jazz, Klassik und Scottish Folk. Letzteres ist kein Wunder, denn Anderson ist Schotte, und der Bandname begründet sich auf einem britischen Landwirt; diese Berufsgruppe hat es dem engagierten Musiker besonders angetan. Was die berühmte Querflöte betrifft, die er nach wie vor auf einem Bein stehend spielt, so ist Anderson Autodidakt. Was der Mann mit der Flöte anstellt, ist heute noch unglaublich und absout unverwechselbar. Sei es nun, ob er klassischen Bach spielt, oder Jazz, er holt das Letzte an Tönen heraus, grunzt und jodelt und singt gleichzeitig dazu, teilweise im Zweiklang. Niemand kann das so wie er, und schon gar nicht mit solcher Power. Entsprechend des Anniversary-Themas präsentierte die Band Stücke aus allen Jahrzehnten, und das in einem atemlosen Tempo von 90 Minuten ohne Pause: „Jemand feiert dieser Tage Geburtstag – nein, nicht ich, sondern jemand, der wirklich, wirklich alt ist: Mick Jagger ist 65 geworden“ – Anderson ist 61 – „und er hat gezeigt, dass man nie zu alt ist, um guten Rock zu spielen.“ Applaus, Applaus, Aplaus. Und fetzig ging’s weiter im Marathon, mit kurzen, reinhauenden Schlagzeug- („die Schlagzeuger sind die arrogantesten Leute der Welt und holen sich stundenlang einen auf ihren Drums runter, während die Leute einschlafen, deshalb lassen wir das heute.“ Einwurf aus dem Publikum: „Warum???“ Antwort: „He, nehmt ihr das etwa ernst? Aber er darf wirklich nur ein paar Sekunden, ein ganz kleines kurzes Solo bringen – trotzdem wird es euch wie Stunden vorkommen!“) und Gitarren-Soli („schöne goldene Gitarre, gell? Unsere Bassgitarre ist übrigens schon die Nummer 7. Der Musiker, nicht die Gitarre“).
Das war harter Sport, von wegen „gediegene Altherrenband“! Nach zwei Minuten tobendem Beifall am Ende der 90 Minuten und Zugabe-Forderung wurde dann noch ein ca. 8-minütiges Locomotive Breath draufgesetzt. Danach waren die Rocker zu Recht wirklich geschafft und abgedampft, aber wir auch. Doch es hat sich mehr als gelohnt, und irgendwie waren wir alle wieder genauso jung wie damals.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.