Für Bücherliebhaber

Die schönste Liebeserklärung an Bücher ist der 15minütige Film „The Fantastic Flying Books of Mr. Morris Lessmore“. Rührend, liebevoll und einfach nur schön.
Nachtrag: Verdientermaßen hat er auch den Oscar 2012 dafür bekommen.

Comic: Nemesis (Millar/McNiven)

Nemesis ist nicht ein Superschurke – er ist der Superschurke schlechthin. Und er hat es sich zum Ziel gemacht, den Polizisten auf der ganzen Welt das Leben so schwer wie möglich zu machen. Wie viele Menschen dabei umkommen – 20.000, 30.000 – spielt keine Rolle, der Superschurke muss siegen, der Polizist versagen, bis zum Tode. Ich glaube, bis es zum Showdown kommt, gehen schon so an die hunderttausend Leute auf Nemesis‘ Konto. Blutig, brutal und gewalttätig bahnt er sich seinen Weg zum selbst erkorenen Ziel. Das ist nichts für schwache Nerven, doch wem „Joker“ von Azzarello gefallen hat (der allerdings weitaus subtiler, tiefgründiger und ja, noch brutaler ist), wird hier auch auf seine Kosten kommen. Das beste allerdings – der Showdown ist klasse, das Ende gefällt mir, und die Pointe ist grandios gelungen.

Deadwood (Pete Dexter)

Ich habe vor Jahren die unglaublich gute Serie auf DVD gesehen; als Western-Fan konnte ich mir das nicht entgehen lassen. Wobei die Serie gar nichts mit einem Western gemein hat, sondern schlicht und ergreifend eine Geschichte, basierend auf historischen Begebenheiten, mit unglaublicher Intensität erzählt hat. Glücklicherweise wurde die rüde Sprache, wie sie sicher gewesen ist, auch in der deutschen Synchro beibehalten.
Der Roman Deadwood hat mit der Serie nichts gemein, und er erschien bereits 1986, wurde aber jetzt erst in Lizenz bei uns herausgebracht. Warum erst und gerade jetzt weiß ich nicht, doch ich habe sofort zugegriffen. Und wurde nicht enttäuscht. Mit gestochener Klarheit, exakt platzierten Worten und beißendem Humor stellt Pete Dexter (wenn der Name kein Pseudonym ist, kann er nicht passender sein) die Goldgräberstadt vor, die heute noch existiert. Calamity Jane, Wild Bill Hickok, Seth Bullock, Charlie Utter – sie alle waren damals dort und haben ihr Schicksal gefunden. Hickock wurde hinterrücks beim Kartenspiel erschossen, und die Stadt, in der er sich niederlassen wollte, wurde von Epidemien und Feuersbrünsten heimgesucht. Die Menschen damals waren hart und rücksichtslos bis grausam, Gewalttätigkeit war etwas ganz Normales, und Frauen waren nur eine Ware, die man nach Belieben schlagen oder töten konnte, ob sie nun verheiratet waren oder nicht. Einige der damaligen Recherchen sind heutzutage überholt, beispielsweise die Annahme, dass Al Swearingen von einem Zug überfahren wurde. Aber das spielt keine Rolle. Das Buch zu lesen ist durch seine Schonungslosigkeit verstörend und faszinierend zugleich, und in jedem Fall kann man froh sein, nicht zu der damaligen Zeit dort gelebt zu haben. Außergewöhnlich durch seine Thematik und außergewöhnlich gut.

Das Scheißleben meines Vaters … (Andreas Altmann)

Das Scheißleben meines Vaters, das Scheißleben meiner Mutter und meine eigene Scheißjugend. Der Titel sagt schon alles aus. Andreas Altmann wird dieses Jahr 63, und dennoch musste diese verstörende Geschichte aus ihm raus. Kaum zu glauben, wie viel Zorn und Hass nach so vielen Jahrzehnten noch in ihm stecken, obwohl er in seiner unterlegenen Hilflosigkeit sich selbst nie aufgegeben und letztendlich seinem Vater immer die Stirn geboten hat. Die Sprache ist dicht und direkt, schnörkellos und genau auf den Punkt gebracht; so sehr, dass man glaubt, mit dabei zu sein; und dabei hat Altmann noch nicht einmal alles beschrieben und schon gar nicht bis ins Detail. Was zeigt, dass alles noch viel schlimmer gewesen sein muss, und dass jeder Tag so lange wie ein Jahr gewesen sein muss, diese Kindheit zu durchstehen. (Und zu durchhungern, man stelle sich vor – nicht einmal genug zu essen gibt es, obwohl alles in Hülle und Fülle vorhanden ist.) Er hat es durchgestanden, und warum er jetzt erst darüber spricht, hat vermutlich den Grund, dass er zwar sozusagen „abrechnet“, dies aber nunmehr aus einer gewissen Distanz tut. Vor allem aber, denke ich mal, will er den Missbrauch anprangern und in Erweiterung eine Religion, deren weltlicher Träger, die Kirche, all das in Bigotterie und Scheinheiligkeit zulässt. Und nicht nur das: Zu Beginn seiner Schulzeit sind Prügel von Lehrern völlig normal. Aber später dann, als er älter war und die Lehrer angewiesen waren, auf die Schüler einzugehen – da hätte, und nicht nur in der Schule, auffallen müssen, was dem Kind angetan wird (schließlich gab es ja genug Faustschläge ins Gesicht), aber es hat niemanden interessiert. Wäre ja ein Skandal, und „so schlimm wird es schon nicht sein, und vermutlich hat es der Junge nicht anders verdient“. Und so weiter. Man mischt sich da nicht ein, erst recht nicht bei einem derart angesehenen und wichtigen Mann des Ortes, der mit Devotionalien handelt. Altmann erzählt offen über das Trauma seiner Jugend, und ich hoffe, dass er vielen damit helfen kann, selbst zu bewältigen und sich selbst zu befreien, wie es ihm (zumindest zum Teil, ich kann mir nicht vorstellen, dass man so etwas jemals vollständig überwinden kann) gelungen ist. Wichtig ist, und ich denke, das ist Altmanns Botschaft, dass man mit sich selbst Frieden schließt und sich mit sich selbst versöhnt, um ins Reine zu kommen, beziehungsweise die Entscheidung trifft, mit dem anderen niemals versöhnt zu sein, abseits aller religiösen Forderungen. Denn manchmal kann man einfach nicht vergeben, und genau das ist es eben: man muss es auch nicht. Das ist eine ganz persönliche Entscheidung, auf die keine Religion und keine Gesellschaft Einfluss haben darf.

Der Wolkenatlas (David Mitchell)

Für mich (leider zeitlich Wenigleser) eines der besten Bücher der letzten Jahre. Der Wolkenatlas ist ein Episodenroman mit verschiedenen Charakteren, die eigentlich nur über ein besonderes Muttermal miteinander verbunden sind, dessen Hintergrund aber gar nicht geklärt wird. Es werden auch weitere Verbindungen geschaffen, die aber mehr lockerer Art sind und keinen inneren Zusammenhang haben – ein Protagonist einer anderen Ebene findet das Reisetagebuch, ein Verleger spricht über einen Thriller … letztendlich, das begreift man, sind es nur Geschichten, die … wer erzählt? Diejenigen, die sie erleben oder erfinden, oder jemand anderer?
Über die Jahrhunderte hinweg erzählen die Figuren ihre Geschichte, angefangen bei dem Reisetagebuch eines Forschers des 19. Jahrhunderts bis zu den Erlebnissen eines Hirten auf einem Hawaii der Zukunft, in der es um die Menschheit nicht sonderlich gut bestellt ist. Allen Episoden ist gemeinsam, dass die Erzähler um ihre Identität und Eigenverantwortlichkeit kämpfen. Bis zur Hälfte des Bandes werden die Geschichten begonnen und mittendrin abgebrochen, danach werden sie fortgeführt und beendet. Die Episoden könnten dabei unterschiedlicher nicht sein, vom Öko-Thriller bis zur Science Fiction ist alles drin. Das Faszinierende daran aber ist die Sprache, denn jede Geschichte hat ihre ganz eigene Stilistik. Vom Antiquierten des Forschungsreisenden bis zum primitiven Neusprech des Hawaiianers, Mitchell hält es konsequent durch und schafft so ein außergewöhnliches Stück Literatur. Wenn man sich erst mal darauf eingelassen hat, ist es ein absoluter Pageturner. Angeblich wird eine Verfilmung angestrebt, da bin ich sehr gespannt, wie das gelingen soll … und hoffentlich wird.

„Was wir tun, wenn der Aufzug nicht kommt“

Seit kurzem ist es lieferbar, das vergnügliche Grafik-Bändchen von Katja Berlin und Peter Grünlich bei Heyne. (Vor allem endlich mal ein Buch, das ich gleich durch habe …) Ja, was tun wir denn, wenn der Aufzug nicht kommt? Wähle unter den Optionen: Geduldig warten, Die Treppe nehmen, Wild auf dem Knopf rumdrücken. Na? Ehrlich sein! Genau.
Auch das Vorwort ist als Grafik gehalten, und so geht es weiter, Blatt für Blatt, Bild für Bild. Reparaturstrategien, das Verhältnis der Warteschlangen, für wen ich meine Wohnung aufräume, Afrika aus der Sicht der Europäer, Halbwertszeiten, Wo nervt der Service, Boy meets Girl, und viele, viele mehr. Saukomisch. Und nur zu wahr.

Weihnachtsbuchtipp

agatha 2006 wurde in München der „Tigerherz“-Verlag gegründet. Mitte dieses Jahres ist ein Buch mit dem Titel „Agatha und die Geisterhunde“ erschienen, ein großformatiges, sehr aufwendiges Hardcover. Die kleine Agatha ist sowieso etwas Besonderes – die einzige Aprikose unter lauter Mohren – und hört auch noch Geisterstimmen. Als Kinderbuch geschrieben, aber auch als Erwachsener mit sehr, sehr viel Vergnügen zu lesen, begleitet von über 60 „Szenenfotos“ mit jeder Menge Möpsen und anderen Hunden sowie einem Papagei. Ein vergnügliches Abenteuer und für den Mops-Freund und jeden, der es werden will, ein absolutes Muss. Im Anhang gibt es Porträts über die Hundehelden und die beiden „Macherinnen“. Als Kulisse diente Schloss Greifenberg am Ammersee.
Autorin: Manuela von Perfall Fotografin: Anja Hölper (zugleich die Verlegerin); Tigerherz-Verlag, ISBN: 978-3-9811162-2-9, EUR 19,90

Lese-Tipp: „Maus“ von Art Spiegelman

Der Fischer-Verlag hat 2008 „Die vollständige Maus“ veröffentlicht. „Maus“ wurde 1992 mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet.
Berichtet wird die authentische Lebensgeschichte des polnischen Juden Wladek Spiegelman, Vater des 1948 geborenen Arthur „Art“ Spiegelman.
Man könnte jetzt sagen: Schon wieder eine solche Geschichte, doch diese hier ist vollständig anders. Um überhaupt zur Dokumentation imstande zu sein, hat Art Spiegelman die Geschichte in Tiere transferiert. Alle Juden sind Mäuse, die Deutschen Katzen, Polen Schweine, Franzosen Frösche, Skandinavier Elche und Amerikaner Hunde.
Arts Eltern haben Auschwitz überlebt, wobei die Tagebücher der Mutter, die in Arts Kindheit Selbstmord beging, vom Vater vernichtet wurden. Es gibt also nur noch dessen Perspektive.

Das Faszinierende an dieser Story ist die gleichzeitige Einbindung der Realzeit, als Wladek seinem Sohn die Geschichte erzählt. Art zeigt dabei deutlich das schwierige Verhältnis, das er zu seinem Vater hat, und er setzt überhaupt keine Wertigkeiten oder spricht Anschuldigungen aus. Es geht nur um das Überleben eines Menschen, der nicht besser oder schlechter als andere Menschen ist. Die Geschichte wird sehr nüchtern und unemotional von Wladek erzählt, der ein ziemlich schwieriger (- rassistischer -) und nicht unbedingt sympathischer Zeitgenosse ist.
Wladek hat den Krieg und Auschwitz mit Gewitztheit, Einfallsreichtum und unbeugsamem Lebenswillen überstanden. Begünstigt durch den vorherigen Reichtum konnten die ersten Jahre recht gut durch Tauschgeschäfte überstanden werden, weil immer noch genug Wertsachen vorhanden waren. Erst mit dem Moment der Falle und Deportation nach Auschwitz steht Wladek völlig vor dem Nichts – aber weil er ein kluger Beobachter und sehr schnell anpassungsfähig ist, kann er sich gute Arbeiten besorgen, die ihm Vergünstigungen einräumen. Und so nebenbei schafft er es auch noch, dass Anja in Birkenau Vergünstigungen erhält.

„Teil 1: Mein Vater kotzt Geschichte aus.“ Es beginnt vor dem Krieg mit dem jungen, schneidigen Wladek, der schon ziemlich genau weiß, was er will, und Anja, Arts spätere Mutter kennenlernt. Es endet mit der Falle und Deportation nach Auschwitz ca. 1 Jahr vor Kriegsende.

„Teil 2: Und hier begann mein Unglück.“ Die Zeit in Auschwitz und das glückliche Ende, das Wiederfinden von Anja. Dieser Teil wird hauptsächlich durch die Vater/Sohn-Beziehung bestritten und Arts Schwierigkeiten, mit dem Erfolg des ersten Teils, der 1986 erschien, fertig zu werden. Das ist eine sehr ergreifende Szene (wie so viele andere).

Man ist hautnah dabei bei der Entstehungsgeschichte des Werks, und zwar in zweifacher Hinsicht – einmal durch das von Wladek durchlebte Leid, und das zweite Mal durch Arts Umsetzung.

In neuerer Zeit hat Marjane Satrapi mit „Persepolis“ – inzwischen hervorragend als Film inszeniert – gezeigt, dass sich gerade solche Schicksale in extremen Zeiten durch das Medium Bild, und zwar in minimalistischer Form dargestellt, am besten eignen, um sie anderen nahezubringen. (Marjane Satrapi: Persepolis (1, Eine Kindheit im Iran; 2, Jugendjahre); Edition Moderne bzw. Ueberreuter)

Aber warum hat Art Spiegelman die Maus gewählt? Nicht nur, um ihre Hilflosigkeit gegenüber der Katze zu dokumentieren, sondern die Begründung findet sich in folgendem Zitat:

„Micky Maus ist das schändlichste Vorbild, das je erfunden wurde … Das gesunde Empfinden sagt jedem denkenden Heranwachsenden und jedem rechtschaffenen Jüngling, dass dieses ekelhafte, schmutzige Ungeziefer, dieser größte Bakterienüberträger im ganzen Tierreich niemals ein vorbildliches Tier sein kann … Schluss mit der Verrohung der Völker durch die Juden! Nieder mit Micky Maus! Tragt das Hakenkreuz!“ Zeitungsartikel, Pommern, Mitte der 30er Jahre.

Ich habe damals die deutsche Erstausgabe verpasst (wir haben auf der Buchmesse in Frankfurt viel drüber gesprochen) und war jetzt völlig von den Socken, dass es seit diesem Jahr die Gesamtausgabe gibt. Ich habe das Buch erst aus der Hand legen können, als ich damit zu Ende war, obwohl es stellenweise sehr hart war, weiterzublättern. Und noch einmal: Es geht hier nicht um irgendeine Schuldzuweisung oder „Erbsünde“, sondern wie bei Persepolis auch um das, was Menschen Menschen antun, überall auf der Welt.
Art Spiegelman: Die vollständige Maus, broschiert, 296 Seiten, Fischer (Tb.), Frankfurt; ISBN: 978-3596180943, 14,95

Lesetipp: Armistead Maupin

Den ungewöhnlichen Journalisten und Autor lernte ich durch den Film The Night Listener (mit einem hervorragenden Robin Williams) kennen, der hierzulande nicht einmal in die Kinos kam – völlig zu Unrecht. Daraufhin interessierte mich das Buch (Der nächtliche Lauscher), und schon nach wenigen Seiten war ich eine Gefangene des Autors – und wurde süchtig, wie so viele andere. Maupin, 1944 in Washington DC geboren, lebt mit seinem Mann in San Francisco. Dieser Stadt hat er mit seinen „Stadtgeschichten“ eine unvergessliche Liebeserklärung gemacht. Diese Stories erschienen in den 70er Jahren als täglicher Fortsetzungsroman im SF Chronicle und existieren in Buchform in 6 Bänden. Inzwischen „eigentlich“ 7. Maupin hat einen reduzierten, schnörkellosen Stil, und er schafft es, seine Charaktere in einem kurzen, prägnanten Dialog zu charakterisieren. Die New York Times Book Review schreibt: „Ich weiß, dass ich nicht der Einzige bin, der bis morgens um zwei weiterlas und sich vornahm, beim nächsten Kapitel aber wirklich Schluss zu machen.“ Genau so erging es mir, seit ich den Lauscher in die Hand nahm, und jetzt bin ich fast froh, dass ich mit allem durch bin, um mich wieder anderen Dingen widmen zu können. Man kann einfach nicht aufhören, immer wieder gibt es eine Wendung, eine Spannung, einen Cliffhanger, dass man weiterlesen muss. So habe ich alle Bücher fast in einem atemlosen Zug durchgelesen, was mir bei insgesamt 8 Stück, noch dazu vom selben Autor, noch nie passiert ist. Der Stil liest sich so locker und flüssig, doch die Geschichten sind tiefgründig, voll beißendem Humor aber auch Tragik, und immer voller Lebensmut und Lebensfreude. (Auch wenn es in jedem Band mindestens einen Toten gibt.) Maupin schuf mit den Bewohnern der Barbary Lane 28 skurrile Charaktere, die doch allesamt die Menschen an sich repräsentieren: Auf der Suche nach Liebe, Freundschaft und Anerkennung, und voll Respekt vor dem Tod. Egal, ob nun hetero oder schwul, Mann oder Frau. Gewürzt werden die menschlichen Fährnisse mit vielen Ideen und Einfällen, dazu fließt das Zeitgeschehen mit ein, wie etwa das Selbstmordmassaker in Guyana unter Jim Jones oder der Ausbruch von Aids. Nach 6 Bänden waren die Stadtgeschichten abgeschlossen. Der nächtliche Lauscher ist eine reife Weiterentwicklung, die vor allem die Angst vor dem Älterwerden und der Einsamkeit beinhaltet. Ein Charakter aus den Stadtgeschichten findet sich hier in einem kleinen Auftritt wieder, eine schöne Brücke zu den Erzählungen. Nun, druckfrisch, ist doch noch ein 7. Band zu den Stadtgeschichten erschienen – „Michael Tolliver lebt„, Maupins zentraler Lieblingscharakter, der sicherlich auch ein bisschen Maupin selbst ist (so wie Gabriel Noone aus dem Lauscher), und der diesmal in der Ich-Perspektive (wie beim Lauscher auch) seine Geschichte erzählt, was in den vergangenen 15 Jahren mit ihm und seinen Freunden passiert ist, und wie sie alle mehr oder minder im 21. Jahrhundert zur Ruhe und zu sich selbst fanden. Die nächste Generation ist bereits flügge, und Michael „Mouse“ muss anerkennen, dass er deren Sprache nicht mehr versteht, aber er kann immerhin mit dem Internet umgehen, und er ist doch recht zufrieden damit, wie es weitergeht. Maupin schafft es, Nähe zu seinen Charakteren zu schaffen, und er weiß, wovon er schreibt, verliert jedoch selbst nie die notwendige Distanz, umso vielfältiger und reichhaltiger sind seine Geschichten.

Harry Potter 7

So, da ist er also, der letzte Band. Ein Actionkracher, zu 90% durchsetzt von Blut, Gemetzel, Mord und Folter, annähernd 760 Seiten lang. Voldemort als völlig eindimensionaler Bösewicht, der alles grausam ummäht, was ihm zu nahe kommt, selbst wenn es die eigenen Leute sind. (Damit wir wissen, dass er böse ist, sonst hätten wir das nicht kapiert.) Kann mir jemand verraten, wieso er so viele Anhänger hat? Er bietet ihnen nichts außer einem gewaltsamen Tod. Belohnung hat noch keiner erhalten, und es wird auch keine in Aussicht gestellt. Die übrigen erwachsenen Hexen und Zauberer sind alle blöd wie Brot, sie lassen sich wehrlos das Zaubereiministerium wegnehmen, arbeiten dort aber weiter und setzen sich nicht mit Magie zur Wehr, wenn sie „unter Anklage“ gestellt werden, keine Reinblütigen zu sein. Alles, was sie können, ist heulen und zähneklappern, und zwar jeder Einzelne von ihnen. Harry, Ron und Hermine hetzen von einem Versteck zum nächsten, um Dumbledores letzten Auftrag zu erfüllen, der sich in Band 6 natürlich in kryptische Worte gehüllt hatte, weil es ja sonst zu einfach und Band 7 nicht notwendig wäre. Dabei geht es um Dumbies eigene Vergangenheit und das, hinter dem Voldemort tatsächlich her ist (na klar, sonst hätten wir in diesem letzten Band ja überhaupt kein Ziel – und natürlich erfahren wir erst jetzt ca. in der Mitte des Bandes davon, nachdem vorher nichts angefangen und bis hierher geführt hat).
Die Handlung ist völlig konstruiert. Hermine hat ein Abendtäschchen dabei, in das alles hineinpasst, was man auf einer Flucht braucht, und passenderweise zieht sie im rechten Moment immer genau das heraus, was gerade gebraucht wird. (Normalerweise zieht man sowas aus dem Hut, aber vielleicht hat da jemand Disney’s „Merlin und Mim“ gesehen.) Nur was zu essen ist nicht drin, und die drei Jungzauberer sind zu dämlich, sich selbiges zu besorgen. Und zwar deswegen, damit leser Mitleid mit den armen frierenden, hungrigen Flüchtlingen hat.
Wenn Harry nicht mehr weiter weiß, passiert pünktlich etwas, das ihm auf den Weg hilft. Das führt so weit, dass sich „zufällig“ an seinem Versteck „zufällig“ verschiedene Flüchtlinge aus verschiedenen Richtungen treffen, die genau das wissen, was Harry weiterbringen muss, und sich genau und exakt darüber unterhalten, weil er ja beim heimlich Lauschen die Fragen nicht selber stellen kann. Danach, wenn alle Informationen verlautbart sind, gehen alle wieder friedlich ihrer Flüchtlings-Wege. Ganz klar, so was passiert jeden Tag, und England ist eh nicht größer als eine Hutschachtel oder Hermines schickes Täschchen. Da kann es schon passieren, dass sich alle am selben Fleck treffen, zum passenden Zeitpunkt, auch wenn nichts ausgemacht war.
Natürlich müssen sich auch die Freunde zerstreiten, sonst hätten wir ja gar keinen Tiefgang mehr. Also raus mit den Taschentüchern!
Harry übernimmt in diesem Band zwar zum ersten Mal die Initiative und agiert selbst, anstatt immer nur zu reagieren, aber man sollte meinen, nach all dem, was er in den vergangenen 6 Jahren durchgemacht hat, dass er sehr viel reifer, erfahrener und ernsthafter wäre als normale 17jährige. Harry jedoch benimmt sich weiterhin wie ein pickliger, pubertierender, bockiger Teenager und stolpert seinen Weg blind dahin, bis der konstruierte Zufall ihm ein Licht spendet. Natürlich nur peu à peu, sonst wäre es ja langweilig. Und damit wir das Drama nicht vergessen, sterben zwischendurch nach rasanter Action wieder ein paar auf ziemlich unschöne Weise oder werden verstümmelt.

Stark negativ auffallend ist der veränderte Stil. Da ich das Original nicht gelesen habe, weiß ich nicht, ob das nur an der Übersetzung liegt. Fest steht allerdings, dass Klaus Fritz und Lektor wohl nur wenige Tage Zeit zur Bearbeitung hatten, denn die Übersetzung ist katastrophal schlecht. Bereits auf S. 1 fängt es an: „… dessen grobe Gesichtszüge immer wieder nicht zu sehen waren“, und so zieht es sich durch das ganze Buch. Deutsch ist das jedenfalls nicht. Absolut nervtötend ist das ständige „Jaah“, das auf nahezu jeder Seite mindestens dreimal vorkommt. Mag sein, dass das englische „Yeah“ auch so oft vorkommt, aber hier ist es inflationär und passt nicht. Schluder ohne Ende, aber das mag hoffentlich nur an der zu kurzen Bearbeitungszeit liegen. Was keine Entschuldigung ist.
Fazit: Was in Band 6 schwach angefangen hat, hat in Band 7 stark nachgelassen. Ohne Witz, Charme, Esprit und Verstand, ein hirn- und sinnloser Actionreißer à la Klein-Rambo. Die Zauberer stellen sich als ganz normale Menschen oder noch dümmer dar, und was Voldemort betrifft, so hatte selbst Saurons Auge noch mehr Charakter und Gruseleffekt. Das ist keine fremde Welt mehr, die einen in ihren Bann zieht, die Liebenswürdigkeit und Dramaturgie enthält, Charakterisierung und Originalität. 760 Seiten Auflösung – so etwas anzubieten, das ist ein starkes Stück, das sich nur ein Bestseller-Autor leisten kann.
Band 6 und 7 auf 600 Seiten zusammengefasst, und es hätte ein furioses Finale gegeben.
So aber bleibt nur: Gottseidank, dass es vorbei ist.