Marianne Sydow ist gestorben

Auf einer Perry-Konferenz sind wir uns nicht mehr begegnet. Marianne verließ das Team, kurz bevor ich eingestiegen bin. Im Frühjahr 1992 nahm ich an meiner ersten Konferenz teil. Peter Terrid, der damals Teamrückkehrer war, nahm die allgemeine Verblüffung über meine unangekündigte Anwesenheit zum Anlass, eine Anekdote hervorzuholen – nämlich wie das damalige Team um die Mitte der 1970er genauso gestaunt habe, als ebenso unangekündigt eine sehr nervöse, sehr hübsche junge Dame im Minirock dem „Herrenclub“ für mehr als 15 Jahre beitrat.
Das war damals ein absolutes Novum. Science Fiction-Autorinnen mussten sich zu jenen Zeiten nämlich männliche Pseudonyme verpassen, um in dieser absoluten „Männerdomäne Science Fiction“, wo Gefühle jeglicher Art verpönt waren und Frauen ja eben nur gefühlsbetonte „Frauenromane“ schreiben könnten, veröffentlicht zu werden. So auch Marianne, die als „Garry McDunn“ ihre ersten Publikationen hatte.
Beim Pabel Verlag war das anders. Man wollte, und zwar sehr gern, Autorinnen in diesem Genre publizieren, und so publizierte Marianne bereits bei TERRA ASTRA unter ihrem richtigen Namen. Da sie mit diesen Publikationen sehr schnell Redaktion und Leserschaft überzeugte, war der Schritt über ATLAN dann nicht mehr so weit zum Zugpferd PERRY RHODAN.
Die Leser von damals bekommen heute noch leuchtende Augen, wenn sie von Marianne sprechen, von ihrer einfühlsamen Darstellung exotischer Kulturen, ihrem Spannungsaufbau – sie riss einfach mit durch farbenfrohe, einprägsame Figuren und Abenteuer.
Anfang der 2000er traten wir beide dann in persönlichen Mail-Kontakt und lernten uns auch auf einem GarchingCon kennen, wo sie unter anderem ihre phantastischen fraktalen Bilder und Fotografien präsentierte. Von da ab blieben wir in freundschaftlichem und fröhlichem Kontakt, unter anderem auch wegen der „Villa Galactica“, in der sich die größte Sammlung der Phantastik Europas befindet. Marianne startete das ehrgeizige Projekt, das gewaltige Archiv ihres verstorbenen Mannes Heinz-Jürgen Ehrig komplett zu katalogisieren – und das ist wirklich einmalig.
Nun erreichte uns die Nachricht von ihrem Sohn Ralph Ehrig, dass Marianne bereits am 2.6.2013 nach kurzer schwerer Krankheit verstorben ist. Viel zu früh, und ich stehe bei diesen Zeilen wirklich einigermaßen neben mir.
Ralph hat einen sehr schönen Nachruf auf seine Mutter verfasst.
Er wird in ihrem Sinne den Bestandskatalog bis zum Buchstaben „Z“ fortführen und beenden, was ein wunderbares Vermächtnis darstellt. Ich habe früher schon einmal auf die Möglichkeit hingewiesen „Abonaut“ zu werden und ich kann nur empfehlen, dabei zu sein und vor allem diese aufwendige Arbeit zu unterstützen.
Und nun bleibt mir nur, liebe Marianne, dir eine gute Reise zu den Sternen zu wünschen – mögen dir eine Menge Abenteuer und Wunder dort oben begegnen.

Before Watchmen 2: Rorschach

Das Dream-Team Brian Azzarello und Lee Bermejo hat uns schon den grandiosen (nichts für zarte Gemüter) „Joker“ beschert, und entsprechend hoch waren meine Erwartungen. Durch die Vorlage der „Minutemen“ einerseits und die Teamarbeit an „Joker“ andererseits. Und was ist dabei herausgekommen, dass Azzarello sich Rorschach vorgenommen hat, die wichtigste, interessanteste und absolute Hauptfigur des Watchmen-Universums?
Leider nur banaler Durchschnitt.
Vorweg gesagt: Wer die Watchmen nicht kennt, weiß und erfährt nicht, wer Rorschach ist. Warum er sich so nennt, warum er diese Maske trägt. Es ist natürlich nicht notwendig, die Origin nochmals durchzukauen, nachdem wir sie in „Watchmen“ ausführlich präsentiert bekommen. Aber wir erfahren einfach gar nichts über Rorschach. Der ist einfach nur ein Vigilant, der sich auf kleinem Gebiet mit Drogendealern und Zuhältern herumprügelt. Punkt, Ende der Geschichte.
Eigentlich geht es ja um einen Serienkiller, doch das bleibt eine Rahmenerzählung.
Rorschach, der als Watchman über einen sehr scharfen Verstand mit hervorragenden Kombinationsfähigkeiten verfügt, stolpert hier von einer Falle in die nächste, ohne daraus zu lernen, sich vorzubereiten; völlig unprofessionell. Er ist ein blutiger Anfänger und totaler Dilettant, wie wir ziemlich schnell mitbekommen, und stellt sich schlichtweg dämlich an. Das passt überhaupt nicht zu der Origin in „Watchmen“, aus der sich dieser ganz besondere Vigilant entwickelt hat, der mindestens gleichauf mit dem Comedian steht. Wie er den ersten Angriff überlebt, ist schon haarsträubend, aber beim zweiten Mal ist das schlichtweg dermaßen hanebüchen konstruiert, dass ich fast keine Lust mehr hatte weiterzulesen. Vor allem ist diese in den Vordergrund gestellte Storyline völlig unwichtig und uninteressant (und bitte, so ein „Monster der Woche“ als Gegenspieler wie aus einem typischen Superheldenstrip aus den 60ern, das ist einfach nur gähnend langweilig). Der Serienkiller ist nur eine Konstruktion und erlangt überhaupt keine Bedeutung, da er überhaupt nicht ins Bild kommt. Hier ne Leiche, da ne Leiche, Ende.
Wenn man den Band loslöst aus dem „Watchmen“-Universum, ist er für sich einigermaßen Durchschnitt ohne irgendwelchen Tiefgang. Wobei Rorschachs Motivation nicht zum Tragen kommt, und er bewegt sich nur auf winzigem Terrain rings um sein „Gunga Diner“, in dem er immer isst. Sehr kleine Welt, was genau das soll – keine Ahnung.
Was mich am meisten stört, es gibt keinerlei Beziehung zu den „Watchmen“. Wir erfahren nicht, dass Rorschach nicht der einzige Vigilant ist, und am Ende hätte ich mir doch eine Begegnung mit Nite Owl erhofft, um den Faden zu knüpfen, wieso Rorschach sich den „Watchmen“ überhaupt anschließt.
So bleibt nur eine 110-seitige Kleinganovenprügelei mit Tiger (total blöd, der Tiger da drin), die der großartigen Figur Rorschach nicht einmal ansatzweise gerecht wird. Das wurde jedenfalls gründlich in den Sand gesetzt und erweckt Angst in mir vor Band 3 mit dem Comedian, der besten Figur der „Watchmen“, der wiederum von Azzarello stammt. Schade!

Before Watchmen 1: Minutemen

„Watchmen“ ist mittlerweile eine Legende der 80er von Alan Moore – inzwischen auch verfilmt – und gehört zu den besten Graphic Novels ever. Vor allem faszinierend, egal wie oft man die Bücher noch einmal in die Hand nimmt, man findet immer noch ein Detail, das man bisher übersehen hatte.
Nun gibt es also das „Prequel“ mit dem Titel „Before Watchmen“, auf Deutsch auf 8 umfangreiche Paperbacks angelegt. Neuerung hier: Diverse Autoren und Grafiker werden diese Vor- und Hintergrundgeschichten der Watchmen-Mitglieder bestreiten. Es heißt ja, einige Top-Autoren hätten das Angebot abgelehnt, weil sie sich nicht an das Thema heranwagten. Das kann ich nicht so recht glauben, aber lassen wir es dahingestellt sein und kümmern wir uns lieber um das tatsächliche Ergebnis.

Soeben ist Band 1 erschienen: „Minutemen“; es geht hier also um die Heldengruppierung vor den Watchmen, und es geht um das Buch „Unter der Maske“ von „Nite Owl“ Hollis Mason, das zum Bestseller wurde und als Geschichte in der Geschichte in den Alben in Auszügen gebracht wurde. Aber wie kam es dazu, warum hat Hollis das Buch geschrieben, und wie viel hat er unter Umständen geändert, bevor es erschienen ist?
Das wird in diesem Band erzählt.
Genau wie beim „Original“ auch besticht die Story optisch durch viele, viele Details, von denen mir beim ersten Lesen sicher eine Menge entgangen sind.
Das Buch hält sich strikt und eng an die Vorlage und verknüpft die Vorgeschichten nahtlos mit der Haupthandlung. Wenn man mir sagte, das Teil wäre von Moore selbst, würde ich das sofort glauben, weil es derart detailgetreu ist. An keiner Stelle habe ich mir gedacht „also so war das nicht“, und die Charaktere wurden bestechend herausgearbeitet bzw. konsequent „eingeführt“.
Das Buch ist umfangreich, es ist großartig, und es ist heftig.
Die Einführung am Anfang fiel sehr leicht, dann zwischendrin dachte ich mir „na, das ist aber jetzt schon ein bissl arg viel Geschwafel“, und dann auf einmal, mit einem Paukenschlag, ging die Geschichte so richtig los und brachte einige Wendungen, die schlichtweg der Knaller sind und einen ganz schön zum Schlucken bringen. Wie gesagt: heftig. Da bleibt was hängen.
Darwyn Cooke hat diesen Band gezeichnet und getextet, und beides ist ihm hervorragend gelungen. Volle Punktzahl!

Rezension zu „Sherlock Holmes und die Tochter des Henkers“

9783927071773

 

 

Eine schöne Besprechung ist auf dem Blog „Horror & Co“ erschienen mit dem Fazit: „Die Erzählung von Erik Hauser und Oliver Plaschka hebt diese Anthologie über den Durchschnitt heraus. „Die Wahrheit über Sherlock Holmes“ ist inhaltlich innovativ und formal hebt sie sich von anderen Geschichten ab. Die „klassisch“ erzählten Geschichten bleiben immer Kopien der Werke Doyles. Hier wurde etwas Eigenständiges geliefert. Und das macht aus dieser Anthologie etwas Besonderes.“

 

Absage für Leipzig 2014

Die Unterlagen für die Buchmesse Leipzig 2014 sind gekommen. Und direkt in die Papiertonne gewandert.
Nachdem Cosplay, Manga & Co separiert wird – möglichst weit weg, mit eigenem Eingang, ohne Messeanschluss – und nachdem der Kinderbuchbereich in Halle 2 ausgeweitet werden soll, was natürlich auch die Lesungen auf der Fantasy-Leseinsel betrifft, wird Fabylon nicht mehr vertreten sein.
Unser Ziel als Kleinverleger ist es gerade in Leipzig, direkt mit unseren Zielgruppen und Interessierten in Kontakt zu treten. Dazu gehört auch eine vielfältige Präsentation aller Bereiche, und vor allem das Cosplay war immer eine erhebliche Bereicherung für die Messe.
Dazu gehört aber auch, dass die Fantasy-Leseinsel ausschließlich für den Bereich der Phantastik reserviert bleiben muss.
Bisher lebte die Messe Leipzig vor allem vom Bereich der Phantastik und Comics mit angeschlossenem CosPlay-Bereich. (Früher durften CosPlayer sogar gratis rein, lange ist’s her.) Das machte den Flair aus, die Begeisterung für Buch, Film und Kunst. Sorgte für eine tolle Stimmung und für hohe Besucherzahlen – und großes Interesse gerade an der Literatur, die wir dort schließlich präsentieren.
Ich vermute mal, als nächstes werden Fachbesuchertage ausgewiesen …
Nachdem die Messeleitung diesen einmal eingeschlagenen Kurs weiter verfolgt, haben wir in Leipzig nichts mehr verloren und investieren das nicht geringe Budget lieber verteilt auf Präsentationen auf Mediencons u.ä.

Schimmernder Dunst über Coby County (Leif Randt)

CobyCounty ist ein Ort, den es nicht gibt. Ein perfektes, idyllisches Utopia, wie es schöner nicht sein könnte. Alle Fenster gehen zum Meer hinaus, es ist immer schönes Wetter, es gibt keine kalten Winter. Erst mit 27 wird man hier erwachsen, auch wenn man vorher bereits in Lohn und Brot steht. Aber das ist eh kein großer Aufwand, da es keinen „Ernst des Lebens“ gibt. Schon von frühester Kindheit an werden Neigungen gefördert und viele Kurse angeboten. Das alles im gemeinschaftlichen Spiel, obwohl der Individualismus hoch gepriesen ist. Es gibt keine Armut und keine Krankheit und erst recht kein Verbrechen. (Und nicht mal einen einzigen Streit.) Abgesehen vom Touristengewerbe (Hotels, Gaststätten etc) übt man hier künstlerische Berufe aus. Die einen sind Schriftsteller, die anderen ihre Agenten (dito Film). Dazwischen gibt es nicht so viel, noch ein paar Unternehmer im Baugewerbe und so. Es gibt zwar verschiedene Bezirke, wo es Superreiche und weniger Reiche gibt, aber wohlhabend ist jeder. Wer keinen Bock auf Arbeit hat, macht nichts, er hat in jedem Fall sein Auskommen. Ob man nun halb- oder ganztags arbeitet, interessiert niemanden. Und wenn der Frühling kommt, was Party, Saufen und Vögeln ohne Ende bedeutet (da kommen dann auch noch haufenweise attraktive Touristen), arbeitet mit Ausnahme des Gaststättengewerbes überhaupt niemand mehr.
Es gibt zwar einen Bürgermeister, aber was genau der macht, weiß man nicht, und wie sich die ganze Chose am Leben erhält (es ist ganz klar, dass Pharma- und andere Firmen alles im Griff haben), auch nicht. Und wieso nicht die ganze Welt hier leben will, erst recht nicht. Wieso manche Einheimische CobyCounty irgendwann dick haben und „verreisen“, ist klar, denen ist langweilig und sie suchen nach einem Sinn in ihrem perfekten Leben. So macht es auch Wesley, der beste Freund des Ich-Erzählers Wim. Doch als Wesley plötzlich die Stadt verlässt, droht CobyCounty sich für immer zu verändern. Naja, irgendwie muss man ja ein bissl Spannung in den Klappentext reinbringen. Nur dass das halt überhaupt nicht geschieht.
Die Geschichte klingt wie Science Fiction, doch die SF beschränkt sich auf das idyllische CobyCounty, und Geschichte gibt es gar keine. Ähnlich wie Bateman in American Psycho erzählt Wim sein tägliches langweiliges Leben, vom Aufstehen und den Klamotten angefangen. Selbstverständlich gibt es sonst keine weiteren Parallelen (und das ist gut so), doch die Erzählweise und Struktur an sich ähneln sich bei beiden Büchern frappant. (Wobei Ellis eindeutig der bessere Erzähler ist.) Während Patrick Bateman ein gelangweilter Yuppie und Soziopath ist, ist Wim ein egozentrischer, selbstverliebter, melodramatischer Yuppie mit sozialen Defiziten. Er meidet jegliche Bindung, was bis zur Abneigung, seine Freundin außerhalb des Sex zu berühren, führt. Wim fühlt sich von allen verlassen, als Wesley eines Tages auf Selbstfindungstour geht und Wims Freundin Schluss macht, denkt aber nicht die Spur daran, sein eigenes Leben zu hinterfragen. Er reflektiert andere, ohne sie richtig wahrzunehmen und versinkt weiterhin im trägen Selbstmitleid. Ich hatte eine Weile angenommen, dass er hoffnungslos in Wesley verliebt ist, aber Fehlanzeige.
Auf den ersten 50 Seiten des 190-Seiten-Büchleins hatte ich gehofft, es würde irgendeine Pointe geben, nämlich dass alle Klone sind wie bei „die Insel“, oder dass sie sich in einer „Matrix“ befinden, irgendwas halt, was auflöst, wie dieses Utopia existieren kann. Fehlanzeige. Bis zum Schluss gibt es keinerlei Konflikte (außer den persönlichen kleinen emotionalen Begebenheiten von Wim). Es gibt halt ein Feuer, das wohl der neue Bürgermeister gelegt hat, um irgendwelche Neuerungen anzukündigen. Vermutlich wird damit das Ende von CobyCounty eingeläutet, aber das erfahren wir natürlich nicht mehr. Als würden wir einander im Eisenbahnabteil gegenüber sitzen und aus irgendwelchen Gründen eine einseitige Unterhaltung im Fluss bleiben muss, plaudert Wim ohne Punkt und Komma dahin, was ihm gerade in den Sinn kommt, ob das nun einen Zusammenhang hat oder nicht. Wesley ist schließlich wieder da, hat irgendwas gelernt, verrät aber nicht, was. Ein großer Sturm (nach dem Feuer) wird angekündigt und die Stadt evakuiert, doch der Sturm ist nur ein kleines Gewitter, und am Ende hat Wim eine neue Freundin und der Frühling ist da. Das war’s. Der Titel? Klingt einfach nur gut. Ist der Titel eines Films im Buch und hat keinerlei weitere Bedeutung.
Irgendwie hatte ich die ganze Zeit den Eindruck, dass es sich hier um die Exposition eines Buches handelt und die Geschichte anschließend dann mal losgeht. Aber ganz ehrlich, selbst „Concerning Hobbits“ beim Herrn der Ringe war noch bedeutend spannender und amüsanter.
Stilistisch ganz nett, aber noch nicht ausgegoren. Eine leicht gestelzte Umgangssprache, die nicht überdauern wird. Sorry, ich finde nicht, dass das eine literarische Entdeckung ist, das Buch ist für mich purer Manierismus (s.u.) mit irgendwas Bedeutungsschwangerem, dessen Sinn sich meinem schlichten Lesergemüt aber nicht erschließt. Und ganz ehrlich, bei einem bejubelten Literaten erwarte ich ein sorgfältigeres Lektorat! Bitte kein Denglisch wie „Sinn machen“ und „pitchen“, eine Verwechslung von „scheinbar“ und „anscheinend“ ist überhaupt nicht gut und dann auf der letzten Seite noch ein ganz schlimmes englisches Apostroph beim Genitiv … brrrrrrrrr. Da rollt sich mir alles auf. Ein „Mangelhaft“ an den Lektor/die Lektorin, der/die hier nicht aufgepasst hat.
Besonders manieristisch und im Lesefluss äußerst störend ist es, wörtliche Rede in Kursiv (und teilweise auch noch in unterteilte Absätze mit Leerzeilen) zu setzen, und umgekehrt, kursive Gedanken auch noch in Anführungszeichen zu setzen. So was geht einfach mal gar nicht und ergibt ein grässliches Satzbild.
Verständlich, dass das Feuilleton begeistert ist, denn ich bin es nicht.

Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry (Rachel Joyce)

Da sind wir also, in Südengland unten, in einem beschaulichen kleinen Örtchen, im Haus eines Rentnerpaares, das sich nichts mehr zu sagen hat. Harold Fry bekommt eine Karte aus einem Hospiz an der schottischen Grenze, 1000 Kilometer entfernt. Seine ehemalige Kollegin Queenie, von der er seit Jahrzehnten nichts mehr gehört hat, schreibt ihm, dass sie bald sterben wird. Und Harold setzt sich hin und schreibt eine artige Antwort. Damit geht er zum Briefkasten. Und dran vorbei und immer weiter, weil er feststellt, dass egal welche Antwort er schickt, sie schäbig ausfallen wird und nichts von den Schuldgefühlen abtragen kann, die seit langer Zeit auf ihm lasten.
Zu Beginn hat Harold noch den Plan, den Brief einzuwerfen, bis er die Entscheidung trifft: Queenie darf nicht sterben, nicht einfach so und jetzt. So lange er geht, wird sie leben, das wird Mantra und Dogma zugleich. Und das schreibt er ihr auch. Und wandert einfach weiter, ohne Handy, ohne Karte, ohne Plan und nur mit einem einfachen Paar Segelschuhe. Er ist völlig ungeübt und bekommt das bald zu spüren, doch er geht weiter. Er begegnet vielen Leuten unterwegs, und jedem gibt er etwas. Indem er zuhört. Regelmäßig meldet er sich bei seiner Frau, doch sie haben sich nichts zu sagen. Auch sie ist gequält von Wut und Schuld.
So reist auch sie auf ihre Weise, durch die Vergangenheit, und so nähern sie sich einander wieder an.
Ein zauberhafter, sehr britischer (und dadurch auch kritischer) Roman über Liebe und Verrat, Trauer, Schuld und vor allem Loyalität. Zwischendrin wird Harolds Reise zum Medienhype und von anderen für eigene Zwecke ausgenutzt, doch er selbst bleibt weiter auf seinem Weg. Er beginnt seine Reise, wie er sie beendet: Allein. Doch am Ende ist er um sehr vieles reicher. Nach und nach klären sich die dunklen Geheimnisse der Vergangenheit, und je heller es wird, desto besser kann er seine Frau wieder erkennen – und sie ihn.
Eine Geschichte, in der es „nur“ um das Menschliche geht. Wunderschön, anrührend, berührend, vor allem eindringlich in ihrer Schlichtheit und dabei sauspannend. Das ist richtige Schreibkunst, wo nicht die Geschichte, sondern das Erzählen dominiert.

Der Junge, der Träume schenkte (Luca Di Fulvio)

Ein dicker Oschi von knapp 780 Seiten, der es in sich hat. Wer „Once upon a time in America“ geliebt hat, wird von diesem Schinken aus den ersten 30 Jahren des 20. Jahrhunderts begeistert sein. Eine blutjunge Süditalienerin flieht aus ihrem Land der Gewalt und Vergewaltigung – nur um in Amerika gleich nach der Ankunft auf Ellis Island in die Prostitution zu geraten. Ein Schicksal, das kaum überraschen mag, und das auch heute noch gang und gäbe ist. Cetta hat aber auch noch ihren kleinen Sohn Natale, der bald Christmas heißen wird, dabei – und sie hat Glück. Ihr Lude verliebt sich in sie, außerdem ist er ein Lude mit Herz. Cetta tut alles dazu, dass ihr Sohn ein „echter Amerikaner“ wird, und Natale wiederum ist voller Träume – und voller Geschichten. Zudem ist er mit einer besonderen Stimme gesegnet. So schlägt er sich mit Witz und Charme durch sein Ghetto, gewinnt die Herzen hartgesottener Gangsterbosse und nicht minder hartgesottener Männer, die sich gegen die Gangs auf ihre bescheidene Weise zur Wehr setzen. Natale findet bereits sehr jung die nicht minder sehr junge Liebe seines Lebens, der etwas Entsetzliches angetan wurde. Wir verfolgen die Lebenswege Natales, seiner Mutter, des jüdischen Mädchens Ruth, von Natales Freunden, aber auch den Weg der „Nemesis“ des jungen Paares, die sie zusammengeführt, aber auch wieder getrennt hat. Der Bogen zieht sich über zwanzig Jahre und zeigt (abgesehen von „Nemesis“) lebensfrohe, mit gesundem Menschenverstand ausgestattete Menschen, denen viel Leid widerfährt, die jedoch daran nicht zerbrechen – und bei allen erlittenen Traumata, die sie in Ketten der Wut und Trauer legen, immer noch in der Lage sind, anderen Glück zu schenken. Deswegen ist der deutsche Titel auch irreführend (ich habe mir unter dem Titel und dem Klappentext etwas völlig anderes vorgestellt), das Original, „Gang der Träume“, ist logischerweise zutreffender.
Hervorragend erzählt, ein echter Pageturner, wie ein Drehbuch aufgemacht. Ich denke ohnehin, dass der Autor eigentlich einen Film geschrieben hat, kein Buch, und das ist ihm sehr plastisch und authentisch gelungen, mit einer Menge Recherchearbeit.
Das Schöne an diesem Buch ist, dass nicht ständig, um Drama und Action hochzuhalten, das Allerschrecklichste passiert, sondern dass es Fröhlichkeit, Humor, Mut und Esprit gibt. Die Geschichte ist unglaublich positiv und Mut machend, ohne irgendetwas zu beschönigen oder gar zu verniedlichen, und bietet unerwartete Wendungen, insbesondere, wenn es zur Begegnung zwischen Opfer und Peiniger kommt. So geht es auch!
Einziges Manko – Fulvio hat leider vergessen zu erwähnen, was aus Ruths Eltern wurde. Nur eine Kleinigkeit am Rande, aber das hätte mich doch interessiert, weil eben selbst „kleine“ Nebendarsteller sehr intensiv geschildert werden.
So ein Buch habe ich mir schon lange mal wieder gewünscht und es daher auf einen Sitz verschlungen. Ich hoffe, dass es bald den Film dazu gibt.

Ein bisschen was von der Seele reden.

Am 28. November 2012 veränderte sich unsere Welt innerhalb weniger Sekunden. Mein Mann stürzte hoch von einer Leiter auf Beton und brach sich mehrfach und im Trümmerbruch beide Beine. Und das war noch ein Glück, es hätte viel viel schlimmer kommen können. Es folgte ein langer Klinikaufenthalt und dann noch eine 7-wöchige Liegephase zu Hause. Erst dann konnte behutsam wieder mit dem Laufen angefangen werden. Es wird alles wieder gut, aber es dauert seine Zeit. Noch mindestens 1 Jahr. Bis dahin braucht es Geduld, vor allem mit den Schmerzen.
Was man aber mit der Umwelt damit erlebt – und ich rede hier ausschließlich von zufälligen und geschäftlichen Begegnungen, also Fremden, mit denen man gar nichts oder nur wenig zu tun hat. Angefangen hat es schon in der Klinik, er lag noch gar nicht auf dem OP-Tisch, als ihm schon angeraten wurde, mal über die Frührente nachzudenken. Mein Mann ist Mitte Fünfzig. Und er hätte Zuspruch brauchen können, nicht so etwas. Jemand, der mental nicht so stabil ist, könnte darüber in Verzweiflung geraten – aber wer denkt darüber schon nach, der nicht davon betroffen ist. Und zu dem Zeitpunkt wusste man schon, dass die Verletzungen zwar sehr schwer sind und der Heilungsprozess langwierig sein wird, aber dass es wieder in Ordnung kommt.
Beide sind wir stabil genug, dass uns all das nicht weiter tangiert. Mein Mann ist eine Kämpfernatur, er zweifelt nicht an seiner Genesung, und ich auch nicht. Es ist schwer, aber man steht es durch.
Alles in allem aber sind doch die Reaktionen der fremden Leute auf Behinderung interessant zu beobachten. Mein Mann erlebt das seit Monaten täglich live. Er ist ja derzeit noch auf Krücken angewiesen, und da gibt es schon so einiges an Hohn und Spott. Zum Beispiel, wenn Väter ihre Kinder mit einem Witz drauf aufmerksam machen mit Fingerzeig „oh guckt mal da …“; besonders „rücksichtsvoll“ sind Frauen mit Einkaufstaschen (alt. ohne = Geschäftsfrau in Anzug/Kostüm) auf der Straße oder im Laden, die ihn einfach wegrempeln, weil sie es eilig haben, und sich auch noch über ihn mokieren, im Weg zu sein; oder im Restaurant, dass man sich über die Krücken aufregt, über die man stolpern könnte. Aber auch das sofortige Vorurteil, wer gehbehindert ist, kann auch geistig nicht auf der Höhe sein. So kommt es, dass es für meinen Mann wahnsinnig schwierig ist, seinen Job auszuüben; nicht nur, weil er körperlich stark eingeschränkt ist, sondern weil auch die Kunden „mit einem Behinderten“ lieber nichts zu tun haben wollen. Könnte ja ansteckend sein. (Manchmal, wenn ich in der Nähe bin, habe ich den Eindruck, die Leute nehmen an, er sei ein Zombie, der vor ihren Augen verfault.) Dann kommt noch das Alter hinzu, das bedeutet die umgehende Annahme, diese Behinderung kann ja gar nicht von einem Unfall stammen, sondern ist die Hüfte, oder Ostheoporose, und dann sind die guten Ratschläge nicht weit. (Wir können kaum in Ruhe essen gehen.) Wenn mein Mann die Leute darauf hinweist, dass ein Unfall die Ursache ist, dann herrscht oft Erstaunen – „ach, nur ein Bruch, das ist ja nicht so schlimm, der Schwager des Freundes der Cousine meiner Frau hatte neulich auch blablafaselschwätz“. Manchmal kommt auch: „Ja ist das denn immer noch nicht vorbei? Sind doch schon mehr als sechs Wochen, so lange dauert das doch gar nicht.“ (Ich gebe zu, darauf reagiere ich inzwischen ein wenig ungehalten.) Dass beide Beine mehrfach gebrochen sind, soweit hören die Leute gar nicht erst zu und es interessiert sie auch nicht. Alles wird in Sekunden zurechtgelegt, wie es einem passt, und mehr braucht’s nicht.
Es hat sich also trotz „Aufklärung“ nichts geändert: Wer nicht ist wie die anderen und keinen gesundheitsstrotzenden Eindruck macht, wird auf die unterschiedlichste Weise ausgegrenzt und abgestempelt.

Walfang ist kein Sommerhobby

Da gibt es ein paar harte Kerle, denen langweilig ist und die sich als wahre Männer beweisen wollen. Klingt nach Russland – ist es aber nicht. Zumindest nicht als Transfer. Diese Supertypen von Irgendwo jagen und schlachten als Sommerhobby die vom Aussterben bedrohten Finnwale und verkaufen sie dann als Hundefutter, denn ein bisschen Profit möchte schon sein. Das Ganze soll über die Niederlande geschehen, die bisher nichts dagegen zu haben scheinen.